Inside Brüssel: Wie der Wachstumspakt verhandelt wurde

Inside Brüssel: Wie der Wachstumspakt verhandelt wurde
14 Stunden rangen Merkel, Monti und Co. um die Zukunft Europas. Wer sich beim dramatischsten EU-Gipfel durchsetzte.

Pokerface, auf Zeit spielen, sich keinen Millimeter bewegen, Härte zeigen, das war über viele Stunden die Strategie einiger Hardliner in der EU, allen voran Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel. Um Mitternacht, zur Geisterstunde, drohte der Gipfel dann endgültig zu scheitern, die ganze Währungsunion geht "in die Luft", sagte Italiens Ministerpräsident Mario Monti. Der coole Professor aus Rom, analytisch und berechnend, war der härteste Kontrahent Merkels im bisherigen Management der Schuldenkrise. Intellektuell geschult setzte sich der Politik-Pragmatiker und Übergangs-Politiker bei dem dramatischsten Gipfel aller EU-Zeiten durch.

Worum ging es: Italienische und spanische Banken stehen massiv unter Druck, die Zinslast für Staatsanleihen ist enorm, nicht mehr finanzierbar. Monti, aber auch sein spanischer Amtskollege Mariano Rajoy drängten auf eine rasche Lösung und Finanzhilfe der EU. Um ihre Forderung durchzusetzen, blockierten sie den Wachstumspakt, das Prestigeprojekt der europäischen Sozialdemokraten, konzipiert von Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande und Bundeskanzler Werner Faymann. Dieser fand den Gipfel "schon nervig" und zeigte ein "Grundverständnis für Italien und Spanien". Rund 14 Stunden dauerte das Ringen um die Frage, wie der Zusammenbruch der Währungsunion kurzfristig verhindern lässt und wie die EU langfristig reformiert werden muss.

Friedlicher Beginn

Doch der Reihe nach: Donnerstag, um 15.00 Uhr, begann der Gipfel noch friedlich. "Der Wachstumspakt kommt", sagte Merkel bei ihrer Ankunft. An sich war die Zustimmung aller zum Wachstumspakt schon paktiert.

Monti und Rajoy wollten zuerst über ihre eigenen Probleme reden, weil "alles zusammenhängt". Merkel, der Niederländer Mark Rutte, der Schwede Frederik Reinfeldt und einige Ost-Europäer stellten sich taub. Ratspräsident Herman Van Rompuy ahnte den Gipfelkonflikt und beauftragte die Sherpas der Regierungschefs, an einer kurzfristigen Lösung in Richtung Bankenunion und Ankauf von Staatsanleihen durch den Rettungsfonds ESM zu arbeiten. Als Sherpa werden die EU-Berater und Experten der Regierungschefs bezeichnet, die die Gipfel vorbereiten.

Auch Faymanns Sherpa war mit von der Partie.

Während stundenlang nichts weiterging, zurrte die Koalition der Willigen die Finanztransaktionssteuer  fest. Dazu Faymann: "Bis Ende des Jahres stehen die Gesetzesgrundlagen dafür fest." Ab 2014 kann die Abgabe eingehoben worden. Ob zehn oder mehr Länder daran teilnehmen, steht noch nicht fest. Einen Durchbruch sollte das Fußballmatch bringen. Deutschland verlor gegen Italien, die Stimmung Merkels trübte sich weiter ein. Keine Zusagen für neue Finanzhilfen, kein Geld für Schuldensünder, wenn sie nicht sparen und Strukturreformen durchführen. X-Mal betete die CDU-Politikerin ihre Prinzipien rauf und runter. Zwischen 23 Uhr und Mitternacht stand der Gipfel an der Kippe.

"Wir reden weiter" - beim mitternächtlichen Abendessen, befahl Frau Merkel. Ein Scheitern wäre das absolute Eingeständnis politischer Handlungsunfähigkeit. Undenkbar, gerade für Deutschland, die größte Volkswirtschaft der EU.

Merkel knickt ein

Leichte Kost dazwischen war die Einigung, dass Jean-Claude Juncker Vorsitzender der Euro-Gruppe bleibt, zumindest für eine Übergangsperiode. Auch in dieser heiklen Personalfrage knickte Merkel ein. Gegen den Widerstand Frankreichs konnte sie ihren Favoriten, Finanzminister Wolfgang Schäuble, nicht durchsetzen. Juncker, ganz Gentleman, sprang für sie dann auch in die Bresche. "Merkel ist wirklich nicht isoliert, das sehe ich nicht so."

Gegen ein Uhr Freitagmorgen holte Van Rompuy die Sherpas, die in der Zwischenzeit die möglichen Hilfen für Italien und Spanien ausarbeiteten.

Eine unabhängige Bankenaufsicht, die eng mit der Europäischen Zentralbank zusammenarbeitet, soll es geben. Banken in der ganzen Euro-Zone können sich über Gelder des dauerhaften Rettungsfonds ESM rekapitalisieren. Mit der jeweiligen Bank wird ein Vertrag ausgehandelt, welche Aufgaben zu erfüllen sind.

Fünf Uhr morgens

Gegen fünf Uhr morgens geht der Gipfel mit diesem Ergebnis zu Ende: Der Wachstumspakt wurde angenommen, die ersten Schritte in Richtung Bankenunion und Fiskalunion gesetzt, die Finanztransaktionssteuer auf Schiene gebracht.

Die deutsche Bundeskanzlerin bewahrte Contenance, ihren Worten und Wählern gegenüber bleibt sie treu: "Wir bleiben vollkommen im bisherigen Schema: Leistung, Gegenleistung, Konditionalität und Kontrolle."

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