Inside Amazon: Eine ehemalige Mitarbeiterin packt aus
Die Buchautorin und Logistikexpertin Gisela Hausmann beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Amazon. Die anfängliche Begeisterung über das neue und vermeintlich innovative Geschäftsmodell des heute größten Online-Händlers der Welt, sank über die Jahre kontinuierlich. Den Tiefpunkt erreichte sie, als die gebürtige Österreicherin, die in den USA lebt, ein paar Monate für Amazon arbeitete.
„Ich dachte früher, dass bei Amazon alle hart und effizient arbeiten und dass es sich um ein großartiges Unternehmen handelt“, sagt Hausmann. Das denkt sie heute nicht mehr – alles nur Schall und Rauch, so die Logistikexpertin. Bei Amazon gelte das Motto „Jeder Tag ist Tag eins“, jeden Tag müsse etwas Neues gemacht werden, um anders als alle anderen Unternehmen zu sein.
Viele Fehler
Tatsächlich sei bei Amazon aber jeder Tag eher ein „Tag 0“ – es würden laufend Fehler gemacht, so die Expertin. „Die durchschnittliche Amerikanerin ist 1,62 Meter groß“, sagt Hausmann. Die Regale, in die die Waren geschlichtet werden, sind aber 1,8 Meter hoch, weshalb sich die meisten Mitarbeiterinnen strecken und damit den Körper überdehnen, oder die Packerl einfach hinauf „schmeißen“ müssten.
Der Tech-Konzern, der nach außen das Bild eines brillanten und innovativen Unternehmens pflege, mache also schon bei einfachsten Dingen Fehler. Vielleicht nicht ganz unabsichtlich, mutmaßt Hausmann: „Dadurch erreicht man eine höhere Fluktuation.“ Sie habe 15 Monate bei Amazon gearbeitet. Am Anfang habe fast jeder neue Mitarbeiter begeistert begonnen, viele seien nach kurzer Zeit wieder desillusioniert gegangen. Ein Unternehmen, das viele Mitarbeiter beschäftige und vor allem viele neue Mitarbeiter einstelle, würde in den USA steuerlich profitieren. Amazon habe daher wohl keine große Motivation, die Situation zu ändern.
Zerstörter Teamgeist
Ebenfalls für sehr fragwürdig hielt sie die „power hours“. Mitarbeiter, die in bestimmten Stunden am meisten Pakete sortieren, bekommen ein Geschenk – einen Gutschein oder den Amazon-Sprachassistenten Alexa. „Dadurch sollen sich alle anstrengen, aber nur einer gewinnt“, sagt Hausmann. Oft würden immer die gleichen gewinnen, ein Mitarbeiter hatte bereits zehn Alexas zu Hause. Was er damit macht?, fragte ihn Hausmann. „Weihnachtsgeschenke für die ganze Familie“, war die Antwort.
Auch bei den power hours macht Amazon Fehler, meint Hausmann. Es werden jedes Mal Listen mit den Ergebnissen aller Mitarbeiter veröffentlicht. Das sei kontraproduktiv, da die meisten niemals an die hohen Stückmengen der Sieger kämen und sich dadurch gar nicht mehr anstrengen würden. Der Teamgeist werde damit zerstört.
Leere Worte
Auch mache das Unternehmen leere Ankündigungen, wie Drohnen zur Auslieferung von Paketen einzusetzen. Viel mehr als Schlagzeilen sei das nicht gewesen, so die Expertin. Denn die Umsetzung war von vorn herein unrealistisch. Laut Umfragen lehnen 54 Prozent aller Amerikaner Drohnen in Wohngebieten aus Sicherheitsgründen ab. „Aus der Ferne kann man eben nicht erkennen, ob die Drohne von Amazon oder von Einbrechern oder anderen Kriminellen ist.“ Außerdem könnten sie über den Wohngebieten abstürzen.
Das Vorhaben, bis 2040 -neutral sein zu wollen, hält Hausmann ebenfalls nur für ein Lippenbekenntnis. Die Pakete seien oft nicht recyclebar und würden Plastik enthalten. „Wer den Umweltschutz ernst nimmt, würde Karton verwenden“, so Hausmann. Amazon mache nur, was dem Unternehmen diene, oft müsse der Steuerzahler für die Folgen aufkommen. Und nicht selten würden andere Unternehmen unter der Umtriebigkeit des Konzerns leiden. Amazon versuche teilweise mit günstigeren Preisen in neue Bereiche oder Sparten einzusteigen. Wenn sich kein Erfolg einstelle, würde man wieder rausgehen. Und verbrannte Erde hinterlassen, denn viele Unternehmen in den betroffenen Sparten würden das nicht überleben.
Chance für Kleine
Dennoch sieht sie eine Chance für kleinere Marktteilnehmer: „Sie brauchen ein gutes E-Mail-System, müssen Kunden mit individuellen Angeboten anlocken und an sich binden“, so Hausmann. Amazon könne zwar viele Pakete ausliefern, aber das persönliche Erlebnis könne das Unternehmen nicht bieten. „Das ist vielleicht das Einzige, was Amazon nicht kann.“
Die jüngste Ankündigung betrachtet Hausmann differenziert. Amazon rüstet sich laut Berichten für eine Zukunft mit selbstfahrenden Lastwagen und bestellte beim Start-up Plus rund 1.000 Systeme, mit denen herkömmliche Sattelschlepper automatisiert werden können.
Laut Hausmann sieht es danach aus, als wolle Amazon eine „Problemzone“ ausschalten. Als sie bei Amazon gearbeitet habe, habe es immer wieder verspätete Lastwagen gegeben, was sich auf die gesamte Lieferkette ausgewirkt habe. „Wenn die Trucks automatisch fahren, kann es keine Probleme mit übermüdeten oder unerfahrenen Fahrern geben.“
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