Amazon: Die maskierte Datenkrake
Ob unternehmerisches Genie oder skrupelloser Geschäftsmann – die Meinungen über Jeff Bezos gehen weit auseinander. Fest steht, dass er bereits mit acht Jahren als hochbegabt galt, mehrere Förderprogramme für Super-Intelligente durchwanderte und immer wieder Jahrgangsbester auf der Highschool war.
Der Mann mit dem freundlichen Gesichtsausdruck und dem auffallenden Lachen gibt sich bei seinen Auftritten jovial, laut Mitarbeitern kann er aber auch anders. Sätze wie „Sind Sie faul oder nur unfähig?“ sollen ihm locker über die Lippen gehen, wenn einer seiner Leute nicht spurt.
Dass Bezos einmal der reichste Mann der Welt werden und einen der mächtigsten Konzerne steuern würde, war trotzdem nicht vorgezeichnet. Jeff Bezos hieß ursprünglich Jeff Jorgensen. Der heute 57-jährige kam in Albuquerque, New Mexico, auf die Welt und hat seinen leiblichen Vater, Ted Jorgensen, nie kennengelernt. Ted hatte sich kurz nach Jeffs Geburt von dessen Mutter Jacklyn getrennt.
Als Bezos vier Jahre alt war, heiratete sie den Exilkubaner Miguel Bezos, der Jeff adoptierte. Erst kurz vor seinem Tod erfuhr Jeffs leiblicher Vater, dass der Amazon-Milliardär sein Sohn ist. Ted Jorgensen betrieb bis zu seinem Tod ein kleines Fahrrad-Geschäft in Arizona. Zu einem Treffen kam es nicht mehr.
Jeff Bezos wollte von klein an Erfinder werden und studierte nicht Wirtschaft, sondern Elektrotechnik und Informatik. Er war noch keine 30, als er für eine New Yorker Vermögensverwaltung arbeitete und die Idee hatte, ein Buchgeschäft im Internet zu gründen. Das war 1994. Der Rest ist Geschichte.
1996 lag der Umsatz von Amazon bei 15,7 Millionen US-Dollar, 1997 war es fast das Zehnfache. 2020 setzte Amazon 390 Milliarden Dollar um. Bezos machte Amazon immer größer, von einem Online-Versandhändler kann schon lange keine Rede mehr sein.
Er erweiterte den Konzern um ein Filmstudio, Logistik- und Cloud-Dienstleistungen, Film-Streaming, einen Music-Download-Dienst, den Handel mit Lebensmittel und vieles mehr. Das scheinbar nicht enden wollende Wachstum brachte Kritiker auf den Plan. Nobelpreisträger Paul Krugman forderte gar, man müsse Amazon ähnlich wie Rockefellers Standard Oil Company zerschlagen, Amazon habe zu viel Macht. Doch Bezos kontert: Es heiße immer, Amazon sei ein Zerstörer, doch das stimme nicht. Dass etwa viele Buchhändler wegen Amazon eingegangen seien, liege nicht an Amazon. Es sei die Zukunft.
Gewinne mit der Cloud
„Ich bezeichne Amazon als Tech-Konzern mit angeschlossenem Warenlager“, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. Und macht damit deutlich, wie sehr sich das Unternehmen von einer E-Commerce-Plattform entfernt hat. Nur wenige Kunden bemerken das, wie eine Maske verdeckt der Online-Handel die anderen Bereiche.
„Klar reden wir hier über den weltgrößten Online-Händler. Aber die richtig großen Gewinne erzielt der Konzern über seine Cloud Services“, sagt Will.
Je größer Amazon wurde, desto mehr konnte das Unternehmen von den Daten profitieren und Verhaltensmuster der Konsumenten nachzeichnen. Amazon weiß nicht nur, was und wann wir gekauft haben, sondern auch, was wir uns angesehen und nicht gekauft haben. Das Unternehmen kennt unsere Wohnadressen, an denen wir gewohnt haben, weiß durch unser Kauf- und Klickverhalten, wie wir politisch gesinnt sind, und kennt so ziemlich alle Vorlieben, die wir haben. Amazon kennt uns damit besser, als jeder unserer besten Freunde. Da sich die meisten Menschen über die Jahre nicht wesentlich ändern, weiß Amazon auch noch in zehn oder mehr Jahren, wer und wie wir sind.
Der Amazon-Sprachdienst Alexa mag für viele praktisch sein, dass sie damit die Ohren des Konzerns oft bis ins Schlafzimmer lassen und ihre Privatsphäre aufgeben, ist vielen nicht bewusst, meint Will.
Die Abhängigkeit der Konsumenten von Amazon ist groß, denn an Amazon kommt fast keiner vorbei. Die Preise sind günstig und die Homepage und der Bestellvorgang extrem userfreundlich, so Will. Die Corona-Pandemie habe die Abhängigkeit verstärkt: 40 Prozent der Konsumenten müssten sich einschränken. Das treibe sie zu Amazon.
Aus dem Markt gedrängt
Auch Händler können sich nicht entziehen. Wer nicht auf Amazons Marktplatz präsent ist, existiert im Netz nicht. Die Abhängigkeit wird laut Will von Amazon auch ausgenutzt. Beispiel: Ein Händler verkauft über den Amazon-Marktplatz eine Bohrmaschine, die zum Bestseller wird. Amazon bekommt das mit und verhandelt mit dem Bohrmaschinen-Produzenten einen besseren Preis aus, indem viel größere Mengen bestellt werden. Dann unterbietet Amazon preislich seinen Marktplatzhändler und drängt ihn aus dem Geschäft.
Für Überraschung sorgte Bezos im Februar, als er seinen Rückzug als Vorstandschef ankündigte. Als Chef des Verwaltungsrats wird er aber weiter Einfluss ausüben. Langweilig wird dem 57-Jährigen nicht. Er will sich neuen Projekten widmen, wie seinen Stiftungen, seiner Zeitung The Washington Post und seiner Raumfahrtfirma Blue Origin.
Grundlose Aufregung
Die Vorwürfe will der Internetriese so aber nicht unkommentiert stehen lassen. „Der Schutz der Privatsphäre unserer Kunden hat immer oberste Priorität und ist seit Jahren Grundlage unserer Services", so ein Amazon-Sprecher gegenüber dem KURIER. Amazon habe eine Datenschutz-Hilfeseite, die Kunden dabei unterstütze, auf ihre Informationen zuzugreifen und sie zu verwalten.
Auch die Aufregung rund um Alexa sei grundlos: „Alexa schützt die Privatsphäre aller Nutzer und bietet dabei umfassende Transparenz und Kontrolle. Kunden können selbst entscheiden, ob ihre Sprachaufzeichnungen gespeichert werden sollen oder nicht", heißt es seitens Amazon weiter. Durch Aktivierung der Funktion in der Alexa-App werde jede Sprachaufzeichnung automatisch gelöscht, nachdem Alexa die entsprechende Anfrage verarbeitet habe. Gleichzeitig würden alle vorherigen Aufnahmen automatisch gelöscht werden.
Von der Verdrängung von Verkaufspartner würde Amazon nicht profitieren, so das Unternehmen: "Amazon ist erfolgreich, wenn Verkaufspartner erfolgreich sind. Verkaufspartner helfen dabei, unseren Kunden jeden Tag eine große Auswahl, bequeme Lieferung und niedrige Preisen zu bieten." Sie stünden für mehr als die Hälfte der bei Amazon verkauften Artikel, ihre Verkäufe würden schneller als die eigenen Verkäufe von Amazon wachsen.
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