Vorwurf der Manipulation von türkischer Inflationsrate

Türkische Lira: Verfall verschärft Währungskrise in anderen Ländern
Laut Statistikbehörde beträgt die Teuerungsrate 21 Prozent, Beobachter und Opposition halten die Zahlen für geschönt.

In der Türkei ist die Inflationsrate angesichts der drastischen Abwertung der Landeswährung Lira deutlich über die Marke von 20 Prozent geklettert. Mit dem vierten Anstieg in Folge erreichte die Teuerungsrate im November 21,3 Prozent, wie das türkische Statistikamt am Freitag in Ankara mitteilte. Zuletzt war die Inflationsrate Anfang 2019 über der Marke von 20 Prozent gelegen. Im Vormonat hatte die Inflationsrate 19,9 Prozent betragen.

Die Opposition und unabhängige Beobachter zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zahlen. Sie gehen von einer wesentlich höheren Inflation aus. Getrieben wurde der Anstieg der Kosten für die Lebenshaltung vor allem durch höhere Preise für Lebensmittel. Diese waren im November in der Türkei um etwa 27 Prozent teurer als vor einem Jahr.

Die Erzeugerpreise legten im November sogar um 54,6 Prozent zu. Die Preise, die Produzenten für ihre Waren verlangen, dürften mit einiger Verzögerung zumindest teilweise auf die allgemeinen Verbraucherpreise durchschlagen.

Proteste wegen hohen Preisen

Die hohe Inflation schmälert die Einkünfte und Ersparnisse der Türken, was viele Haushalte in Bedrängnis bringt. Der Verlust der Kaufkraft hat in den vergangenen Woche zu Protesten in mehreren großen Städten geführt. Dabei kam es auch zu Ausschreitungen und zahlreichen Festnahmen.

Ökonomen erwarten, dass das Ende der Fahnenstange damit noch längst nicht erreicht ist. Im kommenden Jahr könnten demnach Inflationsraten von etwa 30 Prozent erreicht werden. Das wird zum großen Teil auf die starke Währungsabwertung zurückgeführt, da dadurch Importe wie Medikamente, Öl und andere Rohstoffe teurer im Ausland eingekauft werden müssen.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu zog am Freitag vor das Gebäude der Statistikbehörde und warf der Einrichtung vor, die Zahlen zu manipulieren: „Ihr macht die Zahlen kleiner!“, sagte er. Die Zahlen seien nicht vertrauenswürdig und die Behörde zu einer „Palast-Einrichtung“ geworden. Unabhängige Beobachter wie die Enagrup etwa schätzen die Inflation deutlich höher, im November etwa auf über 58 Prozent.

Zentralbank greift ein

Die Zentralbank griff der taumelnden Landeswährung Lira daher nach Bekanntgabe der Daten zum zweiten Mal in dieser Woche unter die Arme. Sie verkaufte wegen "ungesunder Preisbildung" bei den Wechselkursen Dollar aus ihren Beständen.

Der Lira gab die Intervention zunächst Auftrieb: Der Dollar fiel im Gegenzug auf 13,4906 Lira, nachdem er zuvor auf ein Rekordhoch von 13,8889 Lira gestiegen war. Solange die Zentralbank ihre Leitzinsen aber nicht anhebe, müsse mit einer fortgesetzten Abwertung der Währung gerechnet werden, warnte Craig Erlam, Marktanalyst des Brokerhauses Oanda.

Erdogans eigenwillige Politik

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder in die Geldpolitik der Notenbank eingemischt. Entgegen gängiger Expertenmeinung vertritt Erdogan die Ansicht, hohe Zinsen förderten die Inflation. "Zinsen sind ein Übel, das die Reichen reicher und die Armen ärmer macht", erklärte Erdogan seinen umstrittenen Standpunkt erst letzte Woche.

Viele Notenbanker, die sich mehr oder weniger gegen Erdogans Ansichten stellten, mussten bereits ihren Hut nehmen. In den letzten zweieinhalb Jahren hatte die Türkei drei Notenbankchefs, was die Glaubwürdigkeit der Institution erschüttert hat.

Diese Woche hat Erdogan Finanzminister Lütfi Elvan nach nur rund einem Jahr Amtszeit aus dem Amt befördert. Als Nachfolger wurde dessen bisherigen Stellvertreter Nureddin Nebati eingesetzt, dem gute Kontakte zu Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak nachgesagt werden. Analysten sehen darin eine weitere Machtkonzentration.

Rating-Agentur senkt Ausblick

Die US-Ratingagentur Fitch hat den Bonitäts-Ausblick für die Türkei am Freitag von "stabil" auf "negativ" gesenkt. Die Einstufung der Kreditwürdigkeit bleibe zunächst bei "BB-" und damit im spekulativen Bereich, teilten die Bonitätswächter am Donnerstag mit.

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