Standort Österreich: Industrie erlebt "Rendezvous mit der Realität"
Am Dienstag wurde das letzte Getriebe aus dem ehemaligen Opel-Werk in Wien Aspern an das Wien Museum übergeben. Symbolträchtiger für die Schwierigkeiten der Industrie geht es kaum. Die seinerzeit größte Einzelinvestition in Österreich – 1982 auf Betreiben von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky – landet quasi im Museum. Das Werk wurde heuer im Sommer stillgelegt.
Vergleichbare Investitionen, von Infineon in Villach bis Boehringer Ingelheim in Wien, lassen sich an einer Hand abzählen oder liegen etliche Jahre zurück. Die Industrie-Rezession, mittlerweile in ihrem dritten Jahr, markiert den drittstärksten Produktionseinbruch nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 bzw. der Corona-Pandemie.
Nach der Pleite von KTM und der Schließung des Schaeffler-Werkes in Berndorf (NÖ) kam am Donnerstag die dritte Hiobsbotschaft in dieser Woche: Siemens schließt sein Werk für industrielle Stromversorgung in Wien bis Ende 2026. Für die 178 Mitarbeitenden würden Jobs im konzernnahen Umfeld gesucht.
Die Gründe für diese Entwicklung sind ebenso vielfältig wie teilweise hausgemacht. Sie reichen von der aktuell schwachen internationalen Nachfrage in den Schlüsselbranchen Automobil und Maschinenbau – was die Zulieferbetriebe massiv unter Druck bringt – bis zu den im Konkurrenzvergleich stärker gestiegenen Kosten für Arbeit, Energie und mitunter Bürokratie („gold plating“). So seien die Lohnstückkosten hierzulande seit 2021 um 30,2 Prozent gestiegen, in Deutschland aber lediglich um 14,3 Prozent, und in Italien gar nur um 7,1 Prozent, sagt die Industriellenvereinigung (IV).
Bei den Regierungsverhandlern sind die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und die Sorgen der Industrie durchaus angekommen, berichten Teilnehmer. Die IV warnt seit Jahren vor Jobabbau und Standortverlagerungen, mittlerweile stimmen führende Experten in den Chor mit ein.
Strukturelle Krise
Fiskalratspräsident Christoph Badelt spricht angesichts von KTM, Schaeffler und Co. von einer „strukturellen Krise“ der Industrie. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr weist gebetsmühlenartig auf das Kostenproblem hin. „Rendezvous mit der Realität“ ist der Titel seiner Analysen zu Konjunktur und Wachstum in Österreich. Die Schlüsselsätze daraus, die freilich bereits über das akute Industrieproblem hinaus reichen: „Österreich gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Allerdings verliert die österreichische Volkswirtschaft seit 2010 und besonders seit 2019 im internationalen Vergleich an Boden.“
Diskutiert wird politisch jetzt zweierlei: Ein die Konjunktur stimulierendes Sofortpaket, das das Budget nicht überfordert, Österreich aber aus der Rezession befreit. Auf gut Deutsch Maßnahmen, die rasch wirken, aber nicht viel kosten wie erleichterte Abschreibe-Möglichkeiten für Unternehmen.
Und ein längerfristiges Paket mit viel Digitalisierung und KI, um im Umgang mit der Verwaltung – ob in Wien oder Brüssel – der Bürokratielawine Herr zu werden. Ein Top-Manager sagte zuletzt: „Die anderen machen das Geschäft, wir füllen Listen aus.“
Wie es weiter geht? Selten sind sich die Ökonomen Christian Helmenstein (IV) und Markus Marterbauer (AK) einig. In einem Punkt sind sie es aktuell: Das nächste Damoklesschwert für die Industrie hört auf den Namen Donald Trump.
Hohe Fallhöhe
Österreich als kleine offene Volkswirtschaft lebt zu 60 Prozent vom Export. Zuwächse gab es heuer vor allem bei den Ausfuhren in die USA. Macht Trump ernst mit seinem Handelskrieg, trifft das vor allem Exportnationen wie Deutschland und Österreich. Die Fallhöhe wäre hier besonders hoch.
Die Weltwirtschaft an sich liegt nicht am Boden, das globale Wachstum beträgt drei Prozent. Aber, so Industrie-Mann Helmenstein: „Wir partizipieren an diesem Wachstum nicht. Wir haben uns zu stark aus dem Markt gepreist, und technologisch ist uns China in vielen Bereichen längst ebenbürtig. Dadurch verlieren Deutschland und Österreich permanent Marktanteile.“
Geringe Reserven
Marterbauer sagt dazu: "Österreich leidet mit seinem hohen Industrieanteil von 19 Prozent eben auch besonders an der internationalen Nachfrageschwäche.“ In der Vergangenheit sei es dafür überdurchschnittlich gut gelaufen. Seit 2000 habe Österreichs Industrieproduktion um 78 Prozent zugelegt, jene Deutschlands nur um 14 Prozent. Dazu komme, dass zwei Drittel der Gewinne an die Aktionäre ausgeschüttet wurden. „Jetzt wären wir froh, wenn stattdessen Reserven aufgebaut worden wären.“
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