Handwerk und Design: Die Wohntrends aus Mailand

Handwerk und Design: Die Wohntrends aus Mailand
Beim Salone del Mobile, der Mailänder Möbelmesse, trafen sich die Branche nach zwei Jahren Pandemie wieder. Was hat sich in der Zeit getan?

Es gab einige Gründe zu feiern: Die 60. Ausgabe des Salone del Mobile sollte ein fulminantes Fest werden. Nach zwei Pandemie-Jahren und einer stark reduzierten Version der wichtigsten Möbelmesse der Welt waren die Vorfreude und Erwartungen aller groß. „Wir haben die Ziele, die wir uns gesteckt hatten, erreicht und übertroffen“, zeigt sich Messe-Chefin Maria Porro im Nachhinein zufrieden. 262.600 Besucherinnen und Besucher aus 173 Ländern waren laut Veranstalter vor Ort.

Die Möbel- und Designmarken aus der Gegend rund um Mailand sind ein wichtiger wirtschaftlicher Motor Italiens. Während der vergangenen zwei Jahre stand dieser zwar nicht still, aber das Leben in der Stadt mit dem wohl schönsten Dom kam beinahe zum Erliegen. Während der Milano Design Week, waren die Straßen aber wieder voll mit Leuten aus aller Welt. Die Stimmung auf der Messe war geschäftig und auch der Fuorisalone, das Geschehen in der Mailänder City, war vollgepackt mit Ausstellungen, Partys und Events.

Thematisch standen in diesem Jahr aber nicht Neuheiten, sondern der Umgang mit dem eigenen Erbe sowie ein größeres Bewusstsein für Nachhaltigkeitsaspekte im Fokus. Das ist auch begrüßenswert, denn bis zur Zwangspause war die Interieurbranche auf dem Weg in einen Kollektionsrausch, wie ihn die Modewelt vorgemacht hat: mehr Neues, mehr Auffälliges, mit dem sich die Marken gegenseitig übertrumpfen wollten. Aber Sofa und Küche sind eben Dinge, die im Idealfall für ein Leben gekauft werden, das wurde jedenfalls auf zahlreichen Messeständen bei der Jubiläumsausgabe betont. Zusammen mit der eher zurückhaltenden und leisen Formensprache der gezeigten Designs ergab dies ein vielversprechendes Verständnis vom Wohnen der Zukunft. Der KURIER hat sich vor Ort umgeschaut und die Trends vom Salone zusammengefasst.

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Statement-Piece im Garten aber auch im Wohnzimmer: Cala von Kettal 

So schön wie nie: Outdoor Möbel 

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Ludovica und Roberto Palomba hinter ihrem Hi Ray Sessel für Kartell

Kaum eine große Möbel-Brand kam heuer ohne sie aus: Outdoormöbel sind der Trend der Stunde. Denn, so sind sich Aussteller und Designer einig: „Die Pandemie hat Freiflächen wie Balkon, Terrasse oder Garten in den Fokus gerückt. Die Außenbereiche erhalten deshalb besondere Aufmerksamkeit“, erzählen demnach auch Ludovica und Roberto Palomba beim Gespräch über ihre Kollektion für Kartell. „Die Menschen nutzen den Outdoorbereich wie ein verlängertes Wohnzimmer“, so Roberto Palomba. Oft ist den Outdoormöbeln deshalb kaum anzusehen, dass sie für den Garten gemacht sind. Die Kollektionen von Minotti, Cassina oder Poltrona Frau begeistern durch herrlich weiche Kissen, die dank neuer Technologien in der Stoffherstellung zwar für Outdoor gemacht sind, aber genauso bequem wie ein Wohnzimmer-Sofa sind. 

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Bunte Outdoormöbel von Paola Lenti

Aus elastischen (und oft bunten) Seilen werden Sessel und Sofas gewoben –  wie bei Paola Lenti – , die für sich stehen können oder mit Polstern zum kuscheligen Möbelstück werden. Ist der Sommer vorbei, müssen diese Stücke dann nicht in den Keller geräumt werden. Der „Cala“ von Kettal (Bild oben) macht sich genauso beeindruckend als Lounge Chair im Haus, wie im Garten. 

Handwerk im Scheinwerferlicht

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So simpel wie formvollendet: „Bench“ von Konstantin Grcic für Plank 

Wollte man sich zuletzt noch mit Technologien und ausgeklügelten Systemen übertreffen, wurden nun Handwerkskunst und traditionelle Bautechniken hervorgehoben. Ob Sitzbereiche, Trennwände, Tische oder Accessoires – Möbel werden wieder verstärkt  aus lokalen und natürlichen Materialien hergestellt, die klassischen Techniken Tribut zollen und Individualität und Authentizität stärken. 

Trotz oder gerade wegen seiner hervorragenden Schlichtheit war deshalb auch einer der großen Hingucker der Messe die   Bank und Tisch-Kombination „Bench“, entworfen von Konstantin Grcic für den Südtiroler Möbelhersteller Plank. Dickes, astloses Fichtenholz wurde auf die simpelste Weise  zu einem soliden und formvollendeten Set zusammengefügt. „Den einfachsten Weg zu wählen ist manchmal gar nicht so leicht. Wir haben einige komplizierte Umwege gemacht“, verriet der Designer vor Ort.    

Nachhaltig: Zurück zu den Wurzeln

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Zum 110-jährigen Jubiläum kleidete Poltrona Frau seinen Archibald in bedrucktes Leder.

Die Kraft der Archive wurde von zahlreichen Herstellern bereits in den vergangenen Jahren erkannt. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden, oft sind es nur kleine Adaptionen, die einen völlig neuen und frischen Eindruck vermitteln.  Beim Redesign der Modelle bleibt der ursprüngliche Charakter des Entwurfs erhalten und nur durch eine neue Farbe oder ein neues Material bekommt das Möbelstück eine zeitgenössische Note. So werden Ikonen zu neuem Leben erweckt. So gesehen etwa bei Poltrona Frau, deren Klassiker „Archibald“  (Design: Jean-Marie Massaud) mit bedrucktem Leder zum Hingucker wird.

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Jetzt aus recyceltem Material: Der Le Bambole von B&B Italia 

Im Zeichen der Nachhaltigkeit standen andere Neuauflagen: Das Sofa „Soriana“ von Afra und Tobia Scarpa für Cassina, das neu mit einem nachhaltigen Material gepolstert ist. Und Mario Bellinis Sessel „Le Bambole“ aus 1972 war zwar immer im Programm von Hersteller B&B Italia, doch zum Jubiläum bringen die Italiener nun eine runderneuerte Version heraus, die aus nachhaltigeren Schäumen gefertigt wird und sich bis auf seine Struktur demontieren lässt. So ist „Le Bambole“ komplett recyclebar – nach einem langen Möbelleben, natürlich. 
 

Polster, die umarmen: Gemütlichkeit daheim

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Möbelstücke und Accessoires wurden von den Formen und Silhouetten von Pflanzen inspiriert. Anstelle strukturierter geometrischer Formen, die im vergangenen Jahrzehnt relativ beliebt waren, nehmen die meisten nun kurvige und organische Formen an.  So wird ein Gefühl von Komfort, Behaglichkeit und Verspieltheit erzeugt. Bouclé-Stoffe tun ihr Übriges.

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Rundungen auch bei Porada

Die Sitzkollektion „Paradise Bird“, die Luca Nichetto für Wittmann  jetzt mit einem Sessel mit markantem, geschlossenen Rücken ergänzte, sorgte  auf der Messe für beträchtliches Aufsehen: Wie ein gemachtes Nest, eine kleine Raumnische – oder eben ein Möbelstück wie eine Umarmung. Auf jeden Fall hat das weiche Plätzchen einen Nebeneffekt: Einmal hineingekuschelt, will man nicht mehr aufstehen. Auch bei Porada, Zanotta und vielen anderen konnte es heuer gar nicht weich und kuschelig genug sein.  

Auffällig und ungewöhnlich

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Neben simplen und reduzierten Entwürfen stachen auch einige extravagante Designs hervor. Knallbunt und fast schon laut war es etwa bei Seletti: Poppige Prints, lustige Accessoires und künstlerische Designs machen den Stil der italienischen Brand aus. Der legendäre Sessel  Karelia, der 1966 von Lisii Beckmann entworfen wurde,  ist  mit neuen Bezügen und Farben wieder bei  Zanotta  erhältlich.  

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Karelia von Zanotta

Eine Neuheit sorgte beim französischen Modehaus Dior für Furore: Der „Miss Dior“, entwickelt von Design-Meister Philippe Starck, der beinahe alles schon entworfen hat.  Diese Neuauflage des historischen Medallion Chairs aus Aluminium ist mit wahlweise einer, zwei oder keiner Armlehne erhältlich. In einer einzigen Form aus Aluminium gegossen hat der Stuhl eine elegant dünne Architektur und sieht, gerade in den Farbvarianten Rosé oder Gold, wirklich sehr nach Dior aus. Die Kooperation zeigt auch, dass Interieur für viele Fashionhäuser zur interessanten Spielwiese wurde und der Salone del Mobile als Spielplatz für zahlreiche Kreativmarken gilt.  

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Philippe Starck für Dior 

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