Gelungene Architektur verwandelt das Haus in eine Hitzefestung

Gelungene Architektur verwandelt das Haus in eine Hitzefestung
Fußboden- oder Deckenkühlung, begrünte Fassaden und Lamellen, die mit der Sonne wandern: wie Gebäude sich selbst temperieren.

Stadtbewohner kennen das Gefühl: Die Tür geht nach innen auf und bereits nach den ersten Sekunden löst sich auch das letzte Fünkchen Hoffnung auf Abkühlung in heißem Dunst auf. Der Thermometer im Wohnzimmer misst 28 Grad - und damit ein halbes Grad mehr als am Vortag um diese Zeit. Fenster öffnen ist keine Option, denn draußen ist es noch heißer. Da hilft nur kalt duschen, hinlegen und nicht mehr bewegen.

Klimawandel und Städtebau

Schuld an den hohen Temperaturen im Wohnraum ist die Klimaerwärmung, aber auch die Stadtplanung. „In Wien sind horizontale Flächen zu hoch versiegelt. In Kombination mit zu wenig Grün- und Wasserflächen entstehen Hitzeinseln“, weiß Markus Winkler, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Bauklimatik und Gebäudetechnik an der Donau-Universität Krems. Frische Luft komme nicht mehr durch und das schaffe Höchsttemperaturen in der Stadt – auch nachts.

18 Tropennächte in Folge zählte die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) diesen Sommer. „Hitzeinseln sind ein zentrales Problem im Städtebau. Lüften bei über 20 Grad in der Nacht funktioniert nicht mehr“, so Architektin Renate Hammer. Am innerstädtischen Klima müsse daher gearbeitet werden. Die Lösung sieht Hammer unter anderem in hellen Häuserflächen.

Die richtige Fassaden- oder Dachfarbe könnte bereits erste Abhilfe gegen die Hitze schaffen. Am besten eignet sich die Farbe Weiß. Denn helle Flächen reflektieren die Sonnenstrahlen stärker und geben die Wärme dadurch schneller ab als dunkle Flächen.

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Hitzetaugliche Architektur

Auch Architekten, Immobilienentwickler und Forscher tüfteln seit Jahren an Lösungen, um Wohnräume sommertauglich zu machen. Das bedeutet, dass bestimmte Grenzwerte, in Österreich liegen diese bei 27 Grad Celsius am Tag und 25 Grad in der Nacht, nicht überschritten werden dürfen. Einer dieser Tüftler ist Helmut Poppe von Poppe Prehal Architekten. Er hat mit dem „Haus A“ 2017 gleich mehrere hitzeeffektive Lösungen umgesetzt.

„Zum einen verfügt das Haus über sehr viel Speichermasse. Dadurch kann die bestehende Temperatur gut im Wohnraum gehalten werden“, so Poppe. Im Sommer werde der Innenbereich zusätzlich mit einer Deckenkühlung temperiert. Dabei wird kaltes Wasser durch die Decke gepumpt und die Luft von oben nach unten gekühlt. „Im Winter ist der Effekt dann umgekehrt und die Wärme kommt von unten. Da warme Luft aufsteigt, ist die Konstruktion optimal für jede Jahreszeit“, erklärt Poppe.

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"Haus A"

Eine weitere Bauweise verschaffte den Bewohnern des „Haus A“ in diesem Rekordsommer Abkühlung: „Der Vorsprung des Betondachs ist drei Meter tief. Dadurch ist kein weiterer Sonnenschutz nötig.“ Denn die Sonne stehe im Sommer so hoch, dass sie die Fenster nie berührt. Im Winter aber erreichen die flach einfallenden Sonnenstrahlen den Wohnraum und wärmen diesen auf. Energetisch bestehe also sommerlicher Schutz und winterlicher Wärmeeffekt. Das Einfamlienhaus verfügt auch über Lamellen. Sie bieten allerdings keinen Sonnen-, sondern lediglich Sichtschutz.

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Anton Bruckner Privatuniversität

Ganz im Gegensatz zur Anton Bruckner Privatuniversität in Linz. Dort sind die angebrachten Lamellen absolut notwendig, um die Temperaturen im Gebäude zu halten. Die Planer des Architekturbüro 1 standen vor einer besonderen Herausforderung: Die Räume, in denen keine Wärme durch Instrumente und Verstärker abgeht, sollen ohne Klimaanlage auskommen. Dafür wurden starre Lamellen vertikal rund um das Gebäude verbaut. Sie beschatten und verringern die Hitzeentwicklung im Inneren. Eine Konstruktion von flexiblen Lamellen, die mit der Sonne wandern, war bei einer maximalen Gebäudehöhe von 20 Metern nicht möglich. „Um mehr Schatten zu spenden wurde südöstlich, südwestlich und an der Südfront zusätzlich Blendschutz angebracht“, erklärt Architekt Matthias Seyfert. Zur inneren Temperierung verhelfe außerdem eine Fußbodenkühlung. Dabei wird kaltes Wasser durch die Rohre gepumpt.

Eine andere, klimaschonende Form der Fußbodenkühlung ist Geocooling. „Dabei werden Pfahle ins Erdreich gebohrt und Erdwärme entzogen. Diese kühlt aus und die Fußbodenheizung wird zur Kühlung“, erklärt Hammer.

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"Haus Leopold"

Die klassische Fensterlüftung funktioniert während Hitzeperioden meist nur in Kombination mit Begrünung. Darauf setzen Franz&Sue Architekten beim „Haus Leopold“ im Wienerwald. Sie retteten einen alten Schuppen vor dem Abriss und verpassten ihm eine neue Dämmung. Für die nötige Frischluftzufuhr mussten sie kreativ werden, denn das Dach war mit Moos bedeckt und das wollten die Bauherren beibehalten. Daher wird der Dachboden über ein bestehendes Fenster und seitliche Klappen gelüftet. Die umstehenden Bäume tun das ihrige für angenehme Temperaturen.

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Die grüne Stadt

Begrünung ist ein wichtiges Thema, mit dem sich teilweise stark versiegelte Städte wie Wien beschäftigen müssen. Das wissen auch die Verantwortlichen. „Wir sollten kühle Stadtoasen bauen“, sagt Theodor Zillner, stellvertretender Abteilungsleiter für Energie- und Umwelttechnologien des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. Er befindet sich auf einem Podest vor dem Hauptbahnhof und präsentiert gemeinsam mit der Kompetenzstelle für Bauwerksbegrünung GrünStattGrau naturnahe Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Die „unerträgliche Hitze“ soll zuerst im zehnten Bezirk eingedämmt werden: 20 Prozent aller geeigneten Gebäude in Innerfavoriten sollen bis 2022 begrünt werden.

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Pflanzenfassaden senken die Temperatur in einem Straßenzug um bis zu 13 Grad, ein Gründach die Innenraumtemperatur um vier Grad Celsius. Pflanzen beschatten das Gebäude, verdunsten das gespeicherte Wasser und kühlen so die unmittelbare Umgebung. Schadstoffe wie und Staub werden zusätzlich aus der Luft gefiltert, Sauerstoff produziert. Nebenbei werden diese Grünzonen zum Lebensraum von Tieren wie Wildbienen. Gemeinsam mit mehr als 300 Netzwerkpartnern arbeitet das Innovationslabor für eine „natürliche Klimaanlage“. Unlängst wurde das Projekt „Favorite Jewel“ in der Neilreichgasse fertigbegrünt, als nächstes folgen das Kreta-Viertel sowie die Quellenstraße 22.

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Nur wenige Häuserblocks hinter dem Podium befindet sich die Zentrale der Magistratsabteilung 48  – ein Vorzeigeobjekt für Bauwerksbegrünung, das inzwischen international bekannt ist. Die MA22 hingegen rühmt sich mit einem Gründach mit Teich. „Projekte wie diese und die derzeit entstehende Biotope City sind Leuchtturmprojekte für eine grünere Stadt“, sagt Ulrike Pitha von der Universität für Bodenkultur Wien. Die Biotope City, die derzeit ebenfalls in Favoriten gebaut wird, besteht zu zwei Dritteln aus Grünflächen. An der Umsetzung sind mehrere Bauträger beteiligt. Sie stützen den Begrünungsplan auf eine Studie der Universität für Bodenkultur Wien.

Nachholbedarf gibt es laut Vera Enzi, Geschäftsführerin von GrünStattGrau, überall. „Wir haben Wiens Potenzial nicht einmal zu fünf Prozent ausgeschöpft“. Das soll sich ändern. Innerhalb der nächsten vier Jahre soll ein Fünftel des verfügbaren Potenzials in Wien-Favoriten grün sein – eine enorme Steigerung der Lebensqualität der Bürger.

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Die können sich übrigens im MUGLI, einem begrünten Schiffscontainer, über das Vorhaben, die Pflanzenarten und ganzheitliche Funktion von Bauwerksbegrünung noch drei Monate lang informieren. Der urbane Mini-Dschungel wird durch ganz Österreich reisen – die Standorttermine werden noch festgelegt. Finanziert wird das Projekt von BMVIT und der Forschungsförderungsgesellschaft. „Es ist natürlich auch Geld von privater Seite in die Hand zu nehmen, doch es gibt Förderungen. Ich glaube, dieser Einsatz wird sich in einigen Jahren amortisieren“, so Favoriten-Bezirksvorsteher Marcus Franz. „Und er wird Spaß machen“, sagt Enzi freudig.

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