Neu bauen: Darf’s a bisserl weniger sein?
Umbauen, anbauen, weiterbauen – bedenkt man den knappen verfügbaren Baugrund in Tirols engen Tälern, mag diese Prämisse wenig innovativ klingen. Was die nachrückende Architekturgarde auszeichnet und eint, ist der Wille, gemeinsam mit der zunehmend ebenso auf Nachhaltigkeitsaspekte bedachten, jungen Bauherrschaft neue Wege zu gehen. Ökologische Baustoffe sowie flexible und im Laufe der Nutzung adaptierbare Wohnraumkonzepte zählen mittlerweile zum Standard.
Wer Baukosten sparen will, muss den Flächenverbrauch minimieren. Auf räumliche Qualität müsse man laut Christian Hammerl und Elias Walch (beide 1985 geboren) deswegen bei geschickter Planung hingegen nicht verzichten. Die Gründer des Innsbrucker Studios „he und du“ verstehen die Um- und Weiternutzung von alter Bausubstanz als reizvolles Themengebiet, das mehr und mehr an Relevanz gewinnt. Im Zuge der Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz – so die Architekten – könne man einiges lernen, was den Umgang mit und die Anwendung von ökologischen Baumaterialien anbelange.
Auch das junge Innsbrucker Architekturbüro „Unisono“ wagt es, das (neu) Bauen generell infrage zu stellen: „Das Einfamilienhaus ohne den Gedanken an ein mögliches Mehrgenerationenwohnen, das Leben in der Peripherie oder der Individualverkehr sind Themen, die es zu überdenken gilt.“ Auch die substanzielle Qualität von Bauwerken gewinnt zunehmend an Bedeutung. Themen wie kreislaufgerechtes Bauen – noch vor einigen Jahrhunderten der logische Standard – werden heute wiederentdeckt. Dazu zählt auch die Erkenntnis, dass die Definition der Lebensspanne von Gebäuden auf mehr als eine Generation anzusetzen ist.
Der Anspruch des Teams von Unisono: durch Neugebautes jedem Ort etwas zurückgeben und eine Qualität freilegen, die so zuvor noch nicht erlebbar war: „Wir verstehen das als eine ökologische und soziale Nachhaltigkeit, die auch ökonomischen Ansprüchen gerecht werden kann.“ Trotz all der hehren Ziele hat der Architekturnachwuchs bislang nichtsdestotrotz oftmals mit herrschenden Vorurteilen über die eigene Zunft zu kämpfen. „Wir sehen uns weniger als künstlerische Eminenzen, sondern vielmehr als Dienstleister unserer Bauherrschaft“, konstatieren Hammerl und Walch. Ihnen geht es wie vielen Kolleginnen und Kollegen nicht darum, sich selbst ein Denkmal zu setzen und eine Idee – koste es, was es wolle – zu verwirklichen.
Was die jungen Bürogründer zwischen 30 und 45 antreibt, ist das Schaffen einer nachhaltig lebenswerten, bebauten Umwelt zum Wohle aller. Von einer oft lauten, dominanten und kompromisslosen Architekturgeste hin zu einer verantwortungsbewussteren, sozialeren und nutzerorientierteren Architektur – so definiert das zumindest Judith Prossliner (Jahrgang 1981) für sich: „Wir betreuen mit den Baupiloten in Tirol meist Beteiligungsprozesse von Bildungsbauten, die kurz vor einem Umbau stehen und beraten Gemeinden im Feld der Quartiersentwicklung, Dorfkernerweiterung und bei Bürgerbeteiligungsprozessen.“
Dabei geht es darum, Bestand zu aktivieren, Leerstände zu vermeiden und individuelle, ergebnisoffene Lösungen zu finden. Auch Teresa Stillebacher, ebenso Jahrgang 1981, setzt lieber auf kleine Projekte mit großem Anspruch. Mit ihrer interdisziplinären Praxis bewegt sich die Innsbrucker Architektin zwischen Architektur, Kunst, Performance und Interventionen im öffentlichen Raum. Ihr geht es auch darum, Kunst und Architektur miteinander zu verbinden.
Stillebacher stellt sich dabei oft die Frage, wie die politische Relevanz der Architektur zurückgewonnen werden kann und stattfindende gesellschaftliche Veränderungen wieder Ausdruck in unserer gebauten Umgebung finden können: „Ich frage mich, wie tradierte, klimaschädliche oder gesellschaftlich unterdrückende Strukturen durch Architektur nicht noch ständig reproduziert werden.“ Einen Lösungsansatz sieht Stillebacher in einem fundamentalen Umdenken in Bezug auf die Dinge, die wir als wertvoll erachten.
In eine ähnliche Richtung denkt und agiert auch der Innsbrucker Architekt Simon Oberhammer (1979). Sich auf zukünftige Bedürfnisse einstellen, Architektur als Teamarbeit und Bauen als ein soziales Ereignis verstehen sowie Materialien nur dort, wo nötig, und in Anbetracht derer Vergänglichkeit einsetzen – so das Architekturverständnis von Oberhammer, mit dem er wohl vielen Gleichgesinnten aus der Seele spricht.
Next Generation – quo vadis?
Miteinander statt Ellbogenkultur: Alexander Topf, der bereits mit Anfang 30 ohne einschlägigen familiären Background gemeinsam mit Stephanie Topf sein eigenes Studio in Innsbruck gründete, sieht sich als rares Exemplar unter den jungen Kollegen. Anstelle einer Ellenbogenkultur würde er sich mehr Miteinander und generationenübergreifend Unterstützung wünschen. Dabei nimmt sich der junge Unternehmer selbst in die Pflicht: „Um als Branche für nachkommende Generationen interessant und relevant zu bleiben, müssen wir im Sinne einer Architecture-Life-Balance flexible Arbeitsmodelle anbieten.“ Dabei gelte es laut Topf, den elitären Ruf der Vorgänger-Generationen zu brechen: „Die Frage ist nicht, ob wir noch neu bauen dürfen, sondern vielmehr, ob sich das künftig noch jemand leisten kann – oder will.“ Um in der Branche voranzukommen, bedürfe es in jedem Fall Durchhaltevermögen, einen langen Atem und Mut: „Wir müssen aufhören, uns ständig für den Preis unserer Arbeit zu rechtfertigen. Nur so kommen wir zu einem neuen Selbstverständnis.“
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