Autonomes Fahren: Hightech bald wichtiger als PS
Die auf automatisiertes und autonomes Fahren spezialisierte Wiener Softwareschmiede TTTech Auto hat vergangene Woche von Audi und dem US-Auto-Technik-Zulieferer-Unternehmen Aptiv 250 Millionen Euro für die weitere Expansion erhalten. Im KURIER-Gespräch erklärt Vorstandschef Georg Kopetz, was er mit der Summe vorhat und wann autonomes Fahren eine Beschleunigung erfährt.
KURIER: Wann werden wir Auto fahren können, ohne selbst zu lenken?
Georg Kopetz: Wir haben gerade durch die europäische Gesetzgebung einen sehr starken Zug zu den Fahrassistenzsystemen. Das kommt jetzt in eine Breite der Anwendungen. Diese Reise wird nicht disruptiv, sondern Schritt für Schritt gehen. Wir machen da entscheidende Fortschritte in den Bereichen Sensorik, Rechenleistung, Algorithmen und Infrastrukturvernetzung. Wir sind daher ziemlich zuversichtlich, dass wir in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auch erste Autobahnpiloten in Premiumfahrzeugen sehen werden. Diese werden ermöglichen, längere Strecken teilautonom zu fahren und zugleich an virtuellen Telefonkonferenzen teilzunehmen oder den KURIER zu lesen.
Viel mehr als Ankündigungen kam da in den vergangenen Jahren aber nicht.
Man hat die Komplexität des Problems unterschätzt. Aber in den letzten 15 Jahren ist gigantisch viel passiert. Die Hersteller haben jetzt in ihren neuen Modellen Assistenten, etwa zum Parken. Autonom zum Parkraum fahren kommt sicher in der ersten Hälfte der Dekade, ebenso wie Baustellen- oder Stauassistenten. Aber natürlich, der große Wert kommt erst dann, wenn man während des Fahrens etwas anderes tun kann. Das hat auch mit der Vernetzung des Internets mit dem Auto zu tun. Man möchte ja entsprechende Services beim Fahren nutzen können und das geht nur, wenn man das Fahrverhalten nicht kontrollieren muss. Die Entwicklung der Halbleiterindustrie in bessere Prozessoren sowie die Entwicklung der Sensorik – also Kameras und Niederradar – machen mich zuversichtlich.
Aber sind die Autofahrer schon dazu bereit, ihre Verantwortung buchstäblich aus der Hand zu geben?
Man braucht natürlich eine hohe Akzeptanz bei den Verbrauchern, gerade den deutschen Herstellern ist das Thema Sicherheit sehr wichtig. Daher will man mit den Systemen nicht zu früh kommen, um den Konsumenten nicht zu verlieren. Aber laut Umfragen hat sich die Akzeptanz solcher Systeme extrem erhöht. Die Bereitschaft, vor allem in Asien, die Automarke zu wechseln, wenn man dafür mehr Hightech-Features erhält, ist stark ausgeprägt. Der Druck von Konsumenten, Autos mit solchen Features anzubieten, steigt stark. In den vergangenen fünf Jahren waren immer die PS und Komfort die entscheidenden Kaufkriterien. Jetzt gibt es eine Veränderung in der Nachfrage, vor allem in der techaffinen Käuferschicht. Das macht mich zuversichtlich.
Gibt es aber diese Akzeptanz, wenn man als Autofahrer quasi zunehmend entmündigt wird?
Als Autofahrer finde ich es extrem wichtig, dass der Mensch die letzte Entscheidung hat und immer auch festlegen kann, ob er automatisiert fahren will. Die Vision, dass wir nur noch automatisierte Fahrzeuge haben, teile ich nicht. Auch Flugzeugbauer wie Airbus arbeiten nicht an einem pilotenlosen Cockpit. Wo es künftig vorstellbar ist, ist bei Logistiksystemen, Shuttles, Traktoren oder Straßenwalzen. Aber Menschen sollten das Autofahren nicht verlernen und man sollte ihnen auch die Freude daran nicht nehmen. Da sollte sich auch die Politik nicht einschalten.
Es sind in den USA auch einige Unfälle mit autonom fahrenden Autos passiert. Wie sehr belastet das das Image des autonomen Fahrens?
Wir stehen sehr stark für Sicherheit, und man muss das Thema von Anfang an mitdenken. Da darf es keine Kompromisse geben, man muss die sichersten Systeme mit den verfügbaren Mitteln bauen. Wir waren in Europa immer führend bei der Entwicklung von Sicherheitsstandards wie etwa ABS, ESP oder Airbag, da hat sich Europa durchgesetzt. Die Politik von Tesla ist halt sehr stark Technologie- und funktionsgetrieben aus der Kultur des Silicon Valley kommend. Das ist gut für schnelle Produktentwicklungen, aber man muss beide Welten verbinden und darf den Sicherheits- und Innovationsansatz nicht gegeneinander ausspielen.
Wie sehr gefährdet das aktuell autofeindliche Klima in Europa Ihre Geschäftsziele?
Die Autoindustrie hätte ein großes Problem, wenn sie sich nicht konsequent zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem verbindlich erklären und das umsetzen würde. Das Gute ist, dass sie das verstanden hat, und sie arbeitet wie keine andere Industrie daran. Sie hat ein unglaubliches Investitionsprogramm, was mir sehr viel Hoffnung gibt, dass sie gerade in Europa eine große Zukunft hat. Nicht nur beim Thema Elektromobilität, sondern auch beim Parken. Durch die Automatisierung gibt es großes Potenzial, dass man die Autos unter die Erdoberfläche bekommt, ohne dass der Mensch da mitfahren muss.
Da gibt es auch Gegenstimmen, die sagen, das produziert noch mehr Autofahrten, nämlich durch Leerfahrten.
Deswegen muss man den Systemumstieg gemeinsam mit den Städten denken, Stichwort Smart City. Man muss sich ähnlich wie bei der Parkraumbewirtschaftung Konzepte überlegen. Etwa in Form von Abomodellen, wo man das Auto nicht besitzt, sondern nur benutzt und je nach Bedarf das gewünschte Modell wählt. Autos werden auch länger leben, sowohl Software- als auch Hardwareseitig gibt es dann laufend Upgrades, was sie so wertvoll hält.
Widerspricht so ein laufendes Upgrading nicht ihrem Geschäftsmodell und dem der Hersteller?
Ich glaube dass ist der Umbruch zum Software.-definierten Auto. Jetzt machen wir das Geld, wenn viele Autos produziert werden. Künftig, wenn man das Auto benutzt und viele Datendienste im Auto genutzt werden. Dadurch würde auch das Geschäftsmodell viel stabiler werden, wenn man nicht nur von Verkaufszahlen abhängig ist und unter jeder Absatzkrise leide. Ich glaube, da ist viel Potenzial für die Autoindustrie, sich komplett neu zu erfinden. Deswegen ist auch der Druck, Richtung Software zu gehen, so groß.
An TTTech Auto sind große Konzerne beteiligt. Inwiefern ist da eine Technologie- bzw. Anbieteroffenheit für Ihr Unternehmen möglich?
Total offen. Die TTTech-Gruppe ist ja weiterhin der größte Aktionär und wir sind nicht integriert in irgendwelche Konzernstrukturen. Wir bleiben als Plattformanbieter neutral.
Wie sieht es mit weiteren Autobauern als Kunden aus?
Wir haben ein sehr anspruchsvolles Produkt, das beim Engineering des Kunden hineindesignt werden muss. Und da gibt es dann Kunden, die offener für eine Partnerschaft und andere, die mehr selbst machen wollen. Der andere Aspekt sind Volumina. Das heißt, wenn wir Partner wählen, die weniger Fahrzeuge bauen, ist die Gefahr groß, dass wir die Ressourcen auf den falschen Fokus legen. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns nicht übernehmen und die Qualität sicherstellen. Wir achten daher darauf, richtig zu planen und auf das Risiko zu achten.
Wie sehr stört die Pandemie bei der Expansion?
Sie hat nicht geholfen, lokale Teams aufzubauen. Weil die Kunden gar nicht bereit waren, diese Nähe zuzulassen. China und Japan sind für uns wichtig, da sind wir ganz am Anfang. In China haben wir lokale Teams, aber da ist es wahnsinnig schwierig Fuß zu fassen. Daher ist es Teil der Strategie durch die Kapitalerhöhung, auch Unternehmen zu kaufen, um Nähe zu Kunden zu haben. Die Software in einem neuen Fahrzeug ist hochkomplex und muss gemeinsam mit den Herstellern entwickelt werden.
TTTech Auto gilt ja als Börsekandidat. Wann ist es soweit?
Ein Börsegang bleibt für uns wie die Kapitalerhöhung ganz klar ein Mittel zum Zweck. Wir wollen keinen Exit machen, sondern uns stabil zu finanzieren. Es ist uns nicht heilig, ob privat oder öffentlich. Ich halte aber nichts von Modellen, wo man noch nicht nachhaltige Gewinne erzielt und an die Börse geht. Man will Anleger langfristig mit Dividenden an dem Erfolg beteiligen. Es ist auch gut für den heimischen Kapitalmarkt, wenn man Firmen hat, die stabil und kontinuierlich profitabel wirtschaften. Wir hatten zwar mehrere Angebote, über leere Börsehüllen (Spacs, Anm.) an die Nasdaq zu gehen, aber uns dagegen entschieden. Weil wir noch nicht reif sind, weder von der Organisation noch vom Geschäftsmodell. Und wir wollten auch die Zentrale nicht in die USA verlegen.
Wie sehr leidet TTTech unter dem IT-Fachkräftemangel?
Wir müssen als Gesellschaft nachdenken, wie wir Ausbildung auf der privaten als auch der staatlichen Seite intensivieren. Man kann nicht erwarten, dass die Experten mit dem Wissen, das wir brauchen, von selbst entstehen. Da muss man investieren. Es ist auch unsere Strategie, einen Teil der Mittel für Aus- und Weiterbildung einzusetzen. Ein Jammern bringt überhaupt nichts. Es gibt genug intelligente Leute, die bereit sind, zu lernen. Die muss man für sich gewinnen. Die TTTech-Gruppe selbst sucht in Wien Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Welche Bedeutung haben für TTTech die anderen Konzernsparten Luftfahrt, Industrie und Landmaschinen?
Eine sehr große. Wir haben 2018 klar gesagt, wir versuchen diese Geschäftsfelder stärker von der Autosparte zu trennen. Weil wenn ein einzelnes Geschäftsfeld so stark wächst, besteht die Gefahr, dass die anderen erdrückt werden. Dadurch ist es uns gelungen, die anderen Bereiche sehr gut zu entwickeln. Gerade Luftfahrt hat sich in einem schwierigen Jahr für die Branche extrem erfolgreich entwickelt, da hat sich der Umsatz verdoppelt. Wir kooperieren aber in der Gruppe dort, wo sich Synergien ergeben.
Georg Kopetz
Der 1974 in Linz geborene Georg Kopetz ist studierter Jurist. 1997 war er Mitgründer von TTTech. Das Unternehmen expandierte rasch, schon 1999 nach Japan und in die USA. 2018 erfolgte die Trennung der Autosparte
TTTech Auto
Von den 2.300 Mitarbeitern sind 1.200 bei TTTech Auto beschäftigt, der Konzern hat weltweit Standorte. Die Hälfte des 200-Mio.-Euro-Umsatzes entfällt auf diese Sparte. 40 Mio. Euro im Jahr fließen in Forschung und Entwicklung, künftig sollen es 75 Mio. sein. In 2 bis 3 Jahren soll der Break Even erfolgen. An TTTech-Auto sind Infineon, Samsung, Audi und nun auch Aptiv beteiligt
Börsegang
TTTech Auto gilt als Börsekandidat, Angebote aus den USA gab es bereits. Kopetz will aber zunächst nachhaltige Gewinne erzielen und Dividenden zahlen sowie in Wien an die Börse
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