Handel und Tourismus: Tausende Jobs gefährdet
Mit den weiter hohen Infektionszahlen bleiben die Erwartungen an einen baldigen Normalbetrieb in der Wirtschaft gering. Das haben sich am Samstag selbst jene Interessensvertreter eingestanden, die quasi bis zur letzten Minute für Lockerungen des Lockdowns lobbyierten. Mit dem Argument, dass es um Unternehmerexistenzen, Arbeitsplätze und letztlich viel Geld geht.
Jede weitere Lockdown-Woche kostet die Handelsbranche fast eine Milliarde Euro, schätzt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Die Folgeeffekte sind gravierend, ist die Branche doch einer der größten Arbeitgeber im Land. Im Jahresdurchschnitt beschäftigen die Unternehmen laut Statistik Austria um die 380.000 Mitarbeiter. „Wenn wir nicht endlich gegensteuern, stehen 100.000 Handelsjobs vor dem Aus“, warnt Will.
Im Bundeskanzleramt ist er bis zuletzt mit dem Argument vorstellig geworden, dass der Handel nicht fürs Infektionsgeschehen verantwortlich sei. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in einem Geschäften liege bei 13 Minuten, es gäbe funktionierende Sicherheits- und Hygienekonzepte, man könne obendrauf noch eine FFP2-Pflicht einführen und Anreize für die Testung der Mitarbeiter schaffen. Dennoch soll auch der Handel bis in den Februar hinein geschlossen bleiben.
Patentrezepte sind schwierig, da die Branche inhomogen ist. Zu ihr zählen riesige Möbelmärkte wie kleine Boutiquen. Einrichtungshäuser konnten ihre Umsatzeinbußen im ersten Lockdown schnell wett machen, weil Kunden Möbelkäufe nachgezogen haben. Davon können Modehändler nur träumen. Sie sitzen auf Bergen von Abendroben und Business-Outfits. In Zeiten von Homeoffice und gestrichenen Feiern soll der Absatz von Anzügen um 70 Prozent eingebrochen sein. Nun hängen Wintermäntel in geschlossenen Geschäften – ob nach dem Lockdown noch jemand sie kauft, entscheidet auch der Wettergott. Bei 15 bis 20 Grad Plus liegt Winterware wie Blei in den Regalen, die Frühjahrskollektion wartet schon vor der Tür und drückt auf die Liquidität der stationären Händler, deren Kunden zuletzt verstärkt bei Onlineportalen gekauft haben. Aus Sicht von Will wirkt ein Lockdown deswegen wie ein „Amazon-Förderprogramm“.
Gestörtes Einkaufsritual
Man muss die Kirche aber im Dorf lassen. Von großem Konsumrausch konnte zuletzt keine Rede sein. Nicht nur, dass viele Konsumenten in unsicheren Zeiten Geld auf die hohe Kante legen. Es fehlt das Shoppingerlebnis, wenn die Lokale in Shoppingcentern und Einkaufsstraßen finster bleiben. Für viele gehört ein Zwischenstopp im Kaffeehaus zum Einkaufsritual. Mangels offener Kaffeehäuser konnte man sich in vielen Einkaufsstraßen zuletzt nicht einmal sicher sein, im Notfall ein offenes WC zu finden. So verzichten gerade Familien gleich auf den Shoppingausflug. Fazit: Es sind nicht nur weniger Leute in den Einkaufsstraßen. Jene, die da sind, bleiben auch weniger lange und geben weniger aus. Die Händler setzen im Lockdown light (geschlossene Gastronomie, offene Läden) um geschätzte 250 Millionen Euro weniger um – pro Woche.
Österreichweit gibt es übrigens mehr als 41.000 Gastronomiebetriebe (Kantinen und Heurigenbuffets mitgerechnet), die normalerweise rund 160.000 Mitarbeiter beschäftigen. „Viele Mitarbeiter wollen jetzt die Branche wechseln“, sagt Branchensprecher Mario Pulker. Vor allem in Richtung Industrie, wo Mitarbeiter gesucht werden. Der Grund sind die hohen Einkommenseinbußen trotz Kurzarbeit. Zur Orientierung: Ein Kellner in einem guten Restaurant konnte zusätzlich zu den 1.800 Euro Fixgehalt bis zu 2.500 Euro Trinkgeld verdienen, wissen Branchenkenner. Doch in der Kurzarbeit wird nur ein Teil des Fixgehaltes abgegolten, und das Trinkgeld fällt ganz weg.
1 Million Gästebetten leer
Auch in den Hotels bleibt es vorerst finster. Normalerweise haben in der Wintersaison mehr als 11.200 Betriebe mit insgesamt einer Million Gästebetten geöffnet, davon knapp 3.000 in der 4- und 5-Stern-Kategorie. Bis so ein Betrieb – samt Schwimmbad und Wellnessbereich – hochgefahren ist, dauert es gut zwei Wochen. Je weiter der Saisonstart nach hinten rückt, desto uninteressanter wird es für viele Hoteliers, ihre Häuser diesen Winter überhaupt noch aufzusperren.
Wobei es hier ein Ost-West-Gefälle gibt. In Tirol und Vorarlberg kommt ein großer Teil der Gäste aus dem Ausland – und damit heuer gar nicht. In den Thermenhotels im Burgenland oder Steiermark sind die Aussichten auf einigermaßen gut gebuchte Zimmer angesichts des hohen Anteils inländischer Gäste deutlich besser. Die Branche fordert eine Perspektive für 265.000 Tourismusmitarbeiter und einen Umsatzersatz für die Lockdown-Zeit.
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