Haben die Strommarkt-Aufseher nichts bemerkt?
Weil niemand einen Überblick darüber hat, ob und welche Gefahren in den Risikoabteilungen der heimischen Stromversorger schlummern, arbeitet jetzt die Regulierungsbehörde E-Control an einer Markterhebung. Um ein gesamtheitliches Bild über die finanzielle Lage am österreichischen Strommarkt zu erlagen, sagte die grüne Energieministerin Leonore Gewessler.Die E-Control könnte freilich längst wissen, wie es um die Unternehmen steht. Sie hat ohnehin die Daten aller Handelsgeschäfte von österreichischen Energieunternehmen.
Die heimischen Versorger müssen alle Strom- und Gastransaktionen an die europäische Regulierungsagentur Acer in Ljubljana melden, diese schickt die Daten weiter an die nationalen Behörden, darunter auch an die E-Control.
Diese prüft allerdings nicht, ob diese Deals der Leistungsfähigkeit der Unternehmen entsprechen, sondern checkt lediglich, ob Leerverkäufe oder sonstige Unregelmäßigkeiten passieren und ob die Stabilität des Marktes gefährdet ist.
Zur Klarstellung: Vom Gesetzesauftrag ist die E-Control nicht verpflichtet, das wirtschaftliche Risiko zu prüfen. Doch gerade in Zeiten wie diesen könnten die Aufseher bei diesen Geschäften genauer hinsehen, meinen selbst Vertreter der E-Wirtschaft. Die Spekulationen der Wien Energie hätten den Experten auffallen müssen, heißt es, sie seien auch in den Bilanzen ablesbar – wenn man weiß, wo suchen. Die Kritiker wollen namentlich lieber nicht genannt werden, wer legt sich schon gerne mit der Aufsicht an.
Fragt sich‚ wo die E-Control im Alarmfall Meldung erstatten sollte. Im Gegensatz zur Finanzmarktaufsicht (FMA) ist dies gesetzlich nicht geregelt.
In der Branche hat die E-Control bereits das Image der „FMA der E-Wirtschaft“. Bezogen auf die Performance bei Problembanken. Die E-Control gilt als Beschwichtigungsinstitut, selbst die umstrittene Merit-Order wird für in Ordnung befunden. Die Preise schießen durch die Decke, viele Unternehmen verdienen sich goldene Nasen auf Kosten von Industrie, Gewerbe und Haushalten, aber für die E-Control gibt es kein Marktversagen.
Die Behörde wollte gegenüber dem KURIER keine Stellungnahme abgeben.
Vorstandsverträge
In der Wiener Zeitung erschien vor einigen Tagen außerdem eine bemerkenswerte Verlautbarung. Das Ministerium gab hoch offiziell die Bestellung der beiden Vorstände der E-Control, Wolfgang Urbantschitsch und Alfons Haber, bekannt. Mit Wirksamkeit vom 25. März 2021.
Seit diesem Stichtag sind die Vorstände einer der wichtigsten Behörden des Landes bereits im Amt, hatten aber keine Verträge. Sie stritten mit der Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden und ÖBAG-Chefin Edith Hlawati um Boni, Dienstwagen und Nebenjobs. Mit der neuen Aufsichtsratschefin, AK-Expertin Dorothee Herzele, wurde man sich mit Jahresbeginn 2022 einig. Die Veröffentlichung in der Wiener Zeitung sei eine Verpflichtung zur Veröffentlichung gewesen, für alle, die an der Ausschreibung mitgewirkt hatten, erklärte dazu eine Sprecherin der Behörde.
„Preissteigerungen nicht überraschend“
Eine der brisanten Fragen an die Leitung der Wien Energie ist, ob das Risikomanagement versagt hat. Jedes Unternehmen dieser Größenordnung muss eine Risiko-Management-Abteilung haben. Deren Experten ermitteln und bewerten Risiken für das Unternehmen und arbeiten Pläne aus, wie die potenziell möglichen Auswirkungen dieser Risiken minimiert werden können. Denn jedes Risiko kann einen Schaden für das Unternehmen bedeuten.
Bei der Value-at-Risk-Methode (VAR) werden periodisch alle Handelsgeschäfte bewertet. Für ihre Berechnungen unterlegen die Risiko-Manager gewisse Schwankungen, in diesem Fall der Strompreise.
Die Experten errechnen den sogenannten Risikofaktor für das Unternehmen und machen Risiken damit bewertbar. Der Faktor hängt von der Wahrscheinlichkeit des Risiko-Eintritts ab. Je nach Risikofaktor müssen finanzielle Vorkehrungen getroffen werden, das Unternehmen muss reagieren.
Warnungen ignoriert?
Das Risiko-Management untersteht direkt dem Vorstand, in manchen Unternehmen dem Aufsichtsrat, und hat regelmäßig Meldung zu machen. Wie konnte Wien Energie also in eine Situation schlittern?
Experten vermuten, dass entweder das Risiko-Management total inkompetent sein könnte, eine zu geringe Streubreite bei der Entwicklung der Strompreise angenommen wurde – oder dass das Management Warnungen ignorierte. Anstatt die Positionen glatt zu stellen, heißt, auszusteigen. Dann wäre zwar ein Verlust realisiert worden, aber es hätten sich keine Milliarden-Risiken aufgebaut.
Die Explosion der Strompreise war durchaus absehbar. „Der hohe Strompreis ist nicht überraschend gekommen“, sagt Walter Boltz, Kenner des Strommarktes und derzeit Berater des Klimaministeriums. Und weiter: „Das Risikomanagement hätte die Sorge über hohe Strompreise und knappe Verfügbarkeiten schon allein aus der Lektüre der deutschsprachigen Wirtschaftsmedien relativ klar erkennen müssen“, meint der ehemalige E-Control-Vorstand.
andrea.hodoschek@kurier.at
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