Wie der Schwerverkehr in der Schweiz unter die Erde verlagert werden soll
Die Pläne sind ungewöhnlich und ambitioniert. Bis 2045 soll in einer Schweiz eine Art U-Bahn für den Gütertransport entstehen, die Städte vom Bodensee bis zum Genfer See verbindet.
In bis zu 40 Metern Tiefe sollen selbstfahrende Waggons rund um die Uhr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h Güter - von Baumaterialien bis zu Lebensmitteln - quer durch die Schweiz transportieren. In Logistikzentren im Außenbereich von Städten sollen die Waren entladen, an die Oberfläche gebracht und im innerstädtischen Bereich verteilt werden.
Bis zu 40 Prozent des Schwerverkehrs auf den Schweizer Hauptverkehrsachsen könnten auf dies Art bis 2050 unter die Erde verlagert werden, sagt Daniel Wiener, Finanzchef von Cargo Sous Terrain. Er hat das Projekt gemeinsam mit Peter Sutterlüti, einem ehemaligen Manager der Schweizer Post, initiiert.
Der Güterverkehr nehme jedes Jahr um ein bis zwei Prozent zu, sagt Wiener, der Mitte April bei der Konferenz Customer Experience Forum in Wien zu Gast war. Der Einzelhandel sei in großen Städten bereits heute wegen der vielen Staus mit Lieferverzögerungen und leeren Regalen konfrontiert. Auf den Straßen sei kaum noch Platz und beim Bahnausbau habe der Personenverkehr Vorrang. „In der Schweiz ist Tunnelbau alltäglich“, sagt Wiener: „Deshalb machen wir es jetzt.“
Der Baubeginn der ersten Teilstrecke von Zürich in die rund 70 Kilometer entfernte Gemeinde Härkingen ist 2027 geplant. 4 Jahre später soll sie in Betrieb genommen werden.
500 Kilometer
lang soll das Tunnelsystem werden, das von St. Gallen über Zürich und Bern bis Genf reicht
30 - 35 Mrd. Franken
soll das Projekt im Endausbau kosten. Finanziert werden soll es durch private Investoren
60 Verteilzentren
sind entlang des Mega-Tunnels geplant
20 - 40 Prozent
des Schwerverkehrs sollen bis 2050 unter die Erde verlagert werden
Privat finanziert
Kosten soll das ehrgeizige Projekt im Endausbau bis zu 35 Mrd. Schweizer Franken (rund 36 Mrd. Euro). Finanziert werden soll es ausschließlich durch private Geldgeber. Weil sich Tunnel unter der Autobahn allein nicht rechnen, wurde ein Logistiksystem konzipiert, das von der Sortierung der Güter in den Tunneln bis zur Verteilung in den Städten alles aus einer Hand organisiert, erzählt Wiener. Betrieben werden soll Cargo Sous Terrain zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie.
120 Mio. Schweizer Franken (123 Mio. Euro) wurden bereits in die Entwicklung investiert. Das Geld kommt von rund 80 Unternehmen, darunter die Handelsketten Coop und Migros, die Credit Suisse, Helvetia, Swisscom und die Schweizer Post.
Auch ein eigenes Gesetz wurde vom Schweizer Parlament für das Projekt bereits verabschiedet. Es beschleunigt Verfahren und Baubewilligungen über Kantonsgrenzen hinweg.
Umstritten
Mit dem Anlaufen der ersten Bewilligungsverfahren und dem Bekanntwerden konkreter Streckenverläufe formiert sich allerdings Widerstand. Für Diskussionen sorgen Auswirkungen auf das Grundwasser und die Entsorgung der beim Tunnelbau ausgehobenen Erdmassen. Jede Infrastruktur bringe Nachteile mit sich, sagt Wiener. Die müsse man offen diskutieren. Es gebe bei jedem Standort alternative Optionen. Man sei jedenfalls zuversichtlich, gemeinsam mit den Gemeinden Lösungen finden zu können.
In Regionen, in denen die ersten Verteilzentren geplant sind, wird auch eine massive Zunahme des Verkehrs befürchtet. Natürlich steige das Verkehrsaufkommen rund um die Hubs, insgesamt nehme die Verkehrsbelastung in den Städten aber ab, argumentiert Wiener. Allein in Zürich würden sich die Fahrstrecken von Lkw mit Inbetriebnahme des ersten Teilstücks bereits um über 5.000 Kilometer pro Tag reduzieren. Durch die effizientere Verteilung der Waren könnten innerstädtische Lieferfahrten je nach Kategorie um bis zu 30 Prozent reduziert werden.
Die Hubs seien mit einer Größe von 8.000 Quadratmetern auch wesentlich platzsparender konzipiert als herkömmliche Logistikzentren.
"Realitätsfremd"
Kritiker schütteln über das Projekt seit Jahren den Kopf. Sie bezeichnen es als „realitätsfremd“ und bezweifeln, dass es sich jemals rechnen wird. Einige Unternehmen, etwa die Schweizer Bahn SBB, sind wieder ausgestiegen. Auch die Schweizer Post soll den Rückzug planen, berichtete die Tageszeitung Blick.
Das System müsse wirtschaftlich konkurrenzfähig sein. Das sei auch eine Bedingung der Geldgeber, sagt Wiener. Für das erste Teilstück zwischen Zürich und Härkingen sind Baukosten von 4 Mrd. Schweizer Franken (4,1 Mrd. Euro) veranschlagt.
Mit ersten Renditen rechnet Wiener ein bis eineinhalb Jahre nach Inbetriebnahme: „Wir erwarten nicht, dass wir nur deshalb genutzt werden, weil wir nachhaltiger sind. Wenn wir nicht mit dem billigsten Preis auf der Straße konkurrieren können, können wir gar nicht bauen.“
Interesse aus anderen Ländern
An dem Logistiksystem gebe es auch Interesse aus anderen Ländern und Regionen, sagt Wiener: "In der Schweiz wollen wir beweisen, dass es funktioniert."
Neben dem Know-how für den Tunnelbau seien auch die Affinität zu hochwertiger Infrastruktur und die Finanzierungskapazitäten gegeben. Der Schweizer Franken mache das Projekt auch als Investment international interessant.
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