Ökonomin empfiehlt: "Gesetzliches Pensionsalter rasch auf 67 anheben"
Die Chefin des industrienahen Instituts EcoAustria sorgt sich um Österreichs Wettbewerbsfähigkeit, den Budgetkurs und mahnt strukturelle Reformen ein.
Das Wirtschaftswachstum in Österreich geht Richtung Null, gleichzeitig haben wir die dritthöchste Inflation in der Eurozone – also eine ausgewachsene Stagflation. Ist dagegen ein Kraut gewachsen oder kann man das nur aussitzen?
Monika Köppl-Turyna: Große Teile des Problems sind struktureller Natur. Die Konjunkturprognosen fallen nur deshalb noch leicht positiv aus, weil wir durch die hohen Lohnsteigerungen einen Binnenkonsum haben.
Wir kaufen uns damit ein kurzfristiges Konjunkturprogramm, in dem wir die Konsumnachfrage stärken – auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit. Das ist also im Wesentlichen nur durch strukturelle Maßnahmen zu lösen, wie wir wieder zu Wachstum kommen und die Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Das heißt konkret?
Man muss natürlich den Menschen ein Einkommenswachstum in Zeiten hoher Inflation ermöglichen, aber man sollte auch darüber reden, ob die gesamten Arbeitskosten im internationalen Vergleich nicht zu hoch sind. Der zweite Teil des Problems ist der Energiemarkt. Für die Kunden braucht es mehr Wettbewerb und mehr Mobilität beim Anbieterwechsel. Für die Industrie braucht es einen möglichst schnellen Ausstieg aus teurer, fossiler Energie zur Stromerzeugung. Da sind die Strompreise viel, viel höher als in anderen Ländern. Und auch bei den Gaspreisen haben wir im Vergleich zu Asien oder den USA einen massiven Kostennachteil.
Hat unsere Wettbewerbsfähigkeit schon gelitten oder ist das eine Befürchtung?
Man sieht das bereits in den Zahlen. Wir haben ein viel langsameres Exportwachstum als in der Vergangenheit. Und unsere Produkte sind teurer als die Produkte der Konkurrenz. Das sieht man am Anstieg der Lohnstückkosten und des realen Wechselkurses. Diese Aufwertung setzt sich fort. Das sollte uns Sorgen machen.
Auch der Budgetkurs bereitet Sorgen, heuer macht das Defizit 20 Milliarden Euro aus. War das Motto: „Koste es, was es wolle“ ein Fehler?
Bei solch massiven externen Schocks wie in einer Pandemie muss der Staat helfen. Der Fehler bei Corona und danach in der Energiekrise war, dass man die Ziele mit weniger Geld hätte erreichen können. Also mehr Treffsicherheit statt Gießkanne, damit hätten wir auch die Inflation weniger stark angeheizt. Aber unser jetziges Budgetproblem ist nicht konjunktureller, sondern vor allem struktureller Natur. Das spiegelt wider, dass wir sehr hohe Ausgaben für Bereiche wie Pensionen oder Gesundheit haben.
Sie schlagen vor, das gesetzliche Pensionsantrittsalter auf 67 zu erhöhen. Wäre es nicht leichter umzusetzen, das faktische Antrittsalter durch das Schließen von Frühpensionslücken zu heben?
Man muss beides machen. Für das Budget ist es gut, wenn das faktische Antrittsalter steigt. Zweieinhalb bis drei Milliarden kann man auf diese Weise kurzfristig generieren, wenn alle ein Jahr länger arbeiten. Aber damit steigen auch die Pensionen in der Zukunft, weil wir ja ein System der Zu- und Abschläge im Pensionssystem haben. Das kommt fünf Jahre später als teurer Bumerang zurück. Daher löst es das Problem nicht auf Dauer und wir müssen auch das gesetzliche Antrittsalter rasch auf 67 anheben.
Eher linke Ökonomen halten dagegen, das Pensionssystem sei im Wesentlichen sicher und finanzierbar, alles andere wäre Panikmache.
Naja. Man darf nicht vergessen, dass unser Umlagesystem in Zeiten aufgebaut worden ist, in denen unsere Bevölkerungspyramide eine Pyramide war und keine Schwedenbombe oder ein Muffin. Es ist tatsächlich unrealistisch, dass wir künftig ein nachhaltiges Finanzierungssystem für unsere Pensionen haben können ohne die Zuhilfenahme einer kapitalgedeckten Vorsorge. Das wird unter dem Stichwort der Aktienrente jetzt auch in Deutschland stark diskutiert. Viele andere Länder haben ihre Systeme schon längst reformiert. In den 70er-Jahren die Dänen, in den 90er-Jahren die Schweden.
Was ist der stärkste Hebel für mehr Vollzeit gegen den starken Teilzeit-Trend?
Es kommt auf den Ausbau der Kinderbetreuung an, drei Viertel der Frauen mit Kindern arbeiten in Österreich Teilzeit und ahnen oft gar nicht, wie niedrig einmal ihre Pension ausfallen wird. Zusätzlich braucht es hier gesellschaftliche Veränderungen. Wenn man weiter davon ausgeht, dass nach der Karenz die Frau daheim bleibt oder nur Teilzeit arbeitet, um für das Kind da zu sein und gratis die Haus- und Pflegearbeit erledigt, während der Mann Karriere macht, hilft der Ausbau der Kinderbetreuung alleine wenig.
Aber es muss hier mehr investiert werden ...
Für die Arbeitsmarktsituation der Frauen wäre das wichtig, aber noch wichtiger wäre das für die Bildung der Kinder. Alle Studien zeigen eindeutig, dass Kindergärten enorm wichtige Bildungseinrichtungen etwa für den Spracherwerb von Kindern aus sozial benachteiligten Familien sind. Der Kindergarten ist die wichtigste Bildungsstufe, da gehört ordentlich investiert. Wenn der Start der Kinder gelingt, sieht man 30, 40 Jahre später noch höhere Einkommen, weniger Kriminalität, bessere Gesundheit.
Und mögliche Steueranreize für mehr Vollzeit, wie sie die Regierung setzen wollte?
Unser Steuersystem ist stark progressiv ausgestaltet. Darüber muss man nachdenken, weil es für den Einzelnen kaum einen Anreiz für Mehrarbeit bietet. Und dann gibt es einzelne Elemente des Systems, die man reformieren könnte. Zum Beispiel verschiedene Beihilfen, die dazu führen, dass man lieber in Teilzeit bleibt. Oder die Arbeitslosenbeiträge, die sprunghaft steigen, wenn ich eine gewisse Einkommenshöhe übersteige. In Summe zeigt sich: Eine Stunde Mehrarbeit bringt in Österreich netto deutlich weniger als in anderen Ländern.
Auch Junge ohne Kinder wollen oft nur Teilzeit arbeiten. Sind wir als Gesellschaft zu faul geworden?
In Österreich ist der Teilzeittrend stärker als in anderen Ländern. Ich führe das als Ökonomin auf das falsche Anreizsystem zurück. Wenn das so weiter geht muss man sich fragen, inwieweit haben die Menschen bei der Inflation und den Immobilienpreisen überhaupt eine Perspektive, sich etwas aufzubauen.
Bei allen Problemen gibt es auch die guten Seiten. Wenn man im Ausland nach Österreich gefragt wird, lobt man gerne die stabile Demokratie, den Wohlstand, die intakte Natur. Ist unser „Glück“, dass es in anderen Ländern noch schlechter läuft?
Nein, Österreich ist natürlich ein tolles Land, aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Viele sehen nur die Gefahren von Dingen wie ChatGPT, dabei sollten wir uns eher fragen, wir können wir das nutzen, wie können wir es unseren Kindern beibringen? Oder ein anderes Beispiel: Viele Menschen ziehen vom Land weg. Wir können das nicht mit Schnitzel-Gutscheinen stoppen. Wir müssen die Regionen attraktiver machen, bessere Kinderbetreuung, besseres Internet, um im Homeoffice arbeiten zu können. Ja, wir haben ein hohes Wohlstandsniveau. Aber wir müssen alles tun, damit das auch so bleibt. Momentan läuft uns und Europa die Welt auf und davon, wenn wir uns die Wirtschaftsdaten in China oder in den USA ansehen.
KURIER: Haben wir die Globalisierung übertrieben? In Schlüsselbereich wie Pharma, Chipindustrie, Rüstung, versucht Europa mit viel Geld Produktionen zurück zu holen ...
Nein, die Globalisierung war der größte ökonomische Erfolg der Menschheitsgeschichte. Durch die internationale Arbeitsteilung haben wir beim Wohlstand enorm zugelegt. Durch billigere Vorprodukte und Konsumgüter war die Inflation gering und auch unsere Exportbetriebe haben enorm profitiert. Die Fehler, die passiert sind, zeigen sich jetzt in der Abhängigkeit von einzelnen Staaten. Ob das beim Gas ist oder in der Antibiotika-Produktion. Man darf sich nicht von einem Lieferanten abhängig machen. Aber die Lösung kann keinesfalls sein, jetzt wieder alles zurück zu drehen. Protektionismus und Abschottung sind falsch.
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