Gib Gas, ich will Spaß: Motorradbranche erlebt wahren Kaufrausch
Im Gegensatz zur Autobranche geht bei den Zweirädern derzeit gehörig die Post ab. Und das hat mehrere Gründe, erzählt Ferdinand O. Fischer, Sprecher des Zweiradhandels in der Wirtschaftskammer Österreich: „Wir sind Corona-Gewinner“, sagt Fischer.
Starke Steigerung
2020 setzte die Branche um fünf Prozent mehr Zweiräder ab als im Jahr davor, 2021 gab es zwar eine Stagnation, die allerdings der Liefersituation geschuldet war. „Die Hersteller hatten Probleme, die große Nachfrage zu stillen“, erklärt Fischer. Doch heuer gingen die Verkaufszahlen erst so richtig durch die Decke. Bis Ende Februar wurden sechs Prozent mehr Mopeds verkauft, bei Motorrädern stand sogar ein historisches Plus von 14 Prozent zu Buche – die Steigerungsraten dürften über das Gesamtjahr betrachtet halten.
Woher der Run auf die Feuerstühle kommt? „Das Freiheitsbedürfnis ist nach diversen Lockdowns gestiegen“, sagt Fischer. Viele würden die neu gewonnene Freiheit mit einem Motorrad erleben und sich den Wind um die Nase wehen lassen wollen. „Das hat nicht nur rationale, sondern auch emotionale Gründe.“ Corona habe im dritten Jahr für viele an Schrecken verloren und jetzt würden viele wieder das Leben genießen wollen.
Mehr Gelassenheit
Viele entdecken Zweiräder, vor allem Roller, aber auch als Mobilitätsalternative zum Auto und zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. So konnten sie der Corona-Pandemie zumindest auf einigen Wegen ihres Alltagslebens entkommen. Fischer beobachtet eine gewisse Gelassenheit bei den Kunden. Rabatte auf Motorräder gebe es anders als früher kaum noch. Doch das sei kein Problem, die Kunden würden gar nicht mehr danach fragen. „Sie sind froh, wenn sie einen fahrbaren Untersatz bekommen.“
Die Lieferzeiten würden bei manchen Modellen bis zu ein halbes Jahr betragen, doch die Leute würden das akzeptieren. Sie wüssten inzwischen, dass das in vielen Industriezweigen der Fall sei. Die Wiener würden sogar ein bisschen weniger raunzen und seien dankbarer geworden, so gesehen habe die aktuelle Situation auch etwas Gutes.
Wenn auch wesentlich weniger als die Autoindustrie, Probleme hat die Zweiradbranche aber doch auch. So mangelt es den Herstellern derzeit vor allem an Kabelbäumen, von denen viele aus der Ukraine kommen und der russische Angriffskrieg hierzulande zu einer Verknappung geführt hat.
Außerdem gibt es laut Fischer wegen der Corona-Pandemie immer noch Logistikprobleme. In chinesischen Häfen würden sich nach wie vor Container stapeln, die auf ihre Verschiffung warten. „Da geht es uns nicht anders, als anderen Branchen.“ Auch bei der Ersatzteilversorgung gebe es Probleme. Von der Chip-Krise sei die Zweiradbranche kaum betroffen, da bei Motorrädern nur wenige Chips zum Einsatz kämen.
Mehr Kontrollen
Am meisten Sorgen macht der Branche aber das Händlersterben. In den vergangenen Jahren haben einige große Händler für immer den Laden dichtgemacht. Sie gaben den Vertrag mit dem Hersteller freiwillig zurück, bevor sie Pleite gingen. Denn die Hersteller würden die Margen immer mehr zurücknehmen, zunehmend Marketingkosten auf Händler abwälzen und auch stärker in den Direktvertrieb einsteigen. Für mehr und mehr Händler bedeute das das finanzielle Aus.
„Dabei ist es wichtig, dass es Händler gibt, man die Motorräder ansehen, sich draufsetzen und Probefahrten machen kann“, sagt Fischer. Sein Vorschlag: Händler führen Motorräder vor, verkauft werden sie direkt vom Hersteller und der Händler bekommt eine Auslieferungsprovision. Doch der Vorschlag wurde bisher noch nicht erhört. Derweil müssen sich viele Händler so gut wie möglich mit ihrer Werkstatt, dem Verkauf von Zubehör und mit dem Gebrauchtzweiradgeschäft über Wasser halten.
In einem anderen Bereich zeichnet sich zumindest für die Biker Entspannung ab: bei den Fahrverboten für Motorräder mit mehr als 95 Dezibel Standgeräusch. Anders als Tirol wollen die restlichen Bundesländer solche nicht aussprechen. Sie werden dafür stärker kontrollieren und Bewusstsein für leiseres Fahren in dichter bewohnten Gebieten schaffen.
Jeder Zehnte besitzt ein Zweirad
Die gesamte indirekte Wertschöpfung der Zweiradbranche liegt bei rund vier Milliarden Euro. Hier sind auch Faktoren wie Reifen, Treibstoff, Versicherungen, Hotellerie, Gastronomie, etc. eingerechnet
In Österreich sind rund 900.000 Zweiräder angemeldet, damit entfällt auf jeden zehnten Österreicher eines. Pro Jahr werden 45.000 Stück verkauft, was einen Umsatz von rund 200 Millionen Euro bedeutet. Es gibt noch 20 bis 25 große Händler, in Summe gibt es österreichweit 600 Verkaufsstellen
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