Gewerkschafter Hebenstreit: „ÖBB suchen Fachkräfte in Indien“
Bei den ÖBB (43.200 Mitarbeiter) läuft der Betrieb derzeit nicht rund: Es gibt vielerorts schadhafte Züge und Zugausfälle, einen überlangen Einsatz von veralteten Garnituren wegen Lieferengpässen bei neuen Zügen und einen eklatanten Personalmangel -– all das prägt das aktuelle Bild vom größten Bahnunternehmens Österreichs.
„In der Panik nimmt man sich konzernintern gegenseitig die Ressourcen, sprich das Personal und das Material weg. Das ist das Schlimmste, was jetzt passiert“, wettert Roman Hebenstreit, ÖBB-Konzernbetriebsratsvorsitzender und Chef der Bahngewerkschaft vida im Gespräch mit dem KURIER. „Über die Jahre hat man sich immer gerühmt, dass man mit weniger Personal auskommt als geplant. Dafür bekommt man jetzt die Rechnung präsentiert.“
Dass der Personalmangel immer wieder kleingeredet wird, ärgert ihn massiv.
„Die ÖBB sind aktuell dabei, in Drittstaaten wie in Indien nach Fachkräften zu suchen, kommen aber nicht auf die Idee, anstelle dessen mehr Lehrlinge selber ausbilden“, wettert er. „Dass man diese Bahnberufe indes auf die Mangelberufsliste urgiert, als Unternehmen der öffentlichen Hand, ist vollkommen inakzeptabel.“
Millionen Überstunden
Schuld sei die Politik, weil sie diese Einsparungen gefordert habe und Schuld sei auch das Management, das diese Forderungen erfüllt habe. Insgesamt haben die ÖBB-Bediensteten im Vorjahr vier Millionen Überstunden geleistet, davon entfällt mehr als eine Million auf die Lokführer.
„Da ist Not an der Frau und am Mann“, sagt Hebenstreit. „In den nächsten sechs Jahren brauchen wir 19.000 neue Mitarbeiter.“ Das habe vor allem mit den anstehenden Pensionierungen zu tun. Die ÖBB hätten dafür rechtzeitig Vorsorge treffen müssen, meint er. Auch sei die Bahn einer höheren Fluktuation ausgesetzt.
„Wenn Junge dauerhaft eine hohe Anzahl an Überstunden leisten müssen, dann orientieren sie sich anderweitig, weil sie neben der Arbeit auch ein Leben haben wollen“, erklärt Hebenstreit. „Wir sollen um Milliarden die Infrastruktur und die Verkehrsleistung ausbauen, aber wir brauchen auch die Leute dazu, die das umsetzen.“ Dem sei man offenbar nicht nachgekommen.
„Der Eigentümer hat dafür gesorgt, dass immer mehr Züge ohne Zugbegleiter und schaffnerlos fahren“, sagt Hebenstreit. In der Krise räche sich das, weil kein Personal mehr vorhanden ist, dass mit den Kunden kommunizieren kann. „Wenn man Gewinne maximieren und die Wettbewerbsfähigkeit steigern will, dann verliert man an Flexibilität und Krisenfestigkeit als Bahnunternehmen“, sagt der vida-Chef.
Deutscher Nahverkehr
Probleme gibt es bei der Instandhaltung der Züge. Die Werkstätten seien überbelastet, auch dort fehle das entsprechende Personal. Der Wartungsaufwand sei gestiegen, weil alte Züge mangels neuer nicht ausgemustert werden können und dadurch eine verlängerte Laufleistung haben.
Heftig kritisiert der Betriebsratsvorsitzende die Expansion der ÖBB in Deutschland. „Dass wir uns am deutschen Markt Unternehmen kaufen, um am Nahverkehr teilzunehmen, ist eine politische Entscheidung des Eigentümers“, sagt Hebenstreit. „Wenn wir Ressourcen haben, dann sollen sich diese auf die Herausforderungen in unserem Land konzentrieren und nicht irgendwo auf der Welt. Die ÖBB haben nichts verloren am Nahverkehrsmarkt in Deutschland.“ Nachsatz: „Was hat der österreichische Steuerzahler davon, dass wir uns um deutsche Nahverkehrsleistungen bemühen.“
Konter der ÖBB
Die ÖBB kontern in einer Aussendung, dass sie 2023 den Personalstand um 600 Personen auf 43.200 Beschäftigte erhöht haben. 5.031 Lokführer seien im Dienst, 24 mehr als im Vorjahr. „Wir bilden in 27 technischen und kaufmännischen Berufen aus, aktuell 2.100 junge Menschen“, so die ÖBB. Außerdem wurden im Vorjahr 700 neue Lehrlinge aufgenommen. Die ÖBB zählen zu den größten Lehrlingsausbildungsbetrieben in Österreich.
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