Geld in Schubkarren: Die Hyperinflation von 1923 und ihre Folge
"Lenin sagte, dass der beste Weg, das kapitalistische System zu zerstören, darin besteht, die Währung zu entwerten (…). Lenin hatte sicherlich recht. Es gibt kein subtileres Mittel, die bestehende Grundlage der Gesellschaft umzustürzen, als die Währung zu entwerten.“
Das schrieb der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 – 1946) im Jahr 1919. Es waren prophetische Worte. Anfang der 1920er-Jahre gab es in vielen Ländern eine Hyperinflation. In Österreich, in Ungarn, in Polen und im Bürgerkriegs-Russland. Obwohl sie nicht einmal die stärkste oder längste war, hatte die deutsche Hyperinflation die größte geschichtliche Bedeutung.
Weltkrieg als Ursache
Die Ursache für die Hyperinflation von 1923 liegt im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918). Krieg verschlingt Unsummen. Die Finanz-Reserven des deutschen Staates reichen bei Kriegsausbruch im Sommer 1914 aber nur für zwei Tage. Der Krieg wird aber mehr als vier Jahre dauern.
Um den Krieg zu finanzieren, macht Deutschland Schulden. Auch bei der eigenen Bevölkerung. Die Regierung gibt Kriegsanleihen aus, die von den Menschen besonders zu Beginn begeistert gezeichnet werden. Der Staat lässt sich den Krieg also von der Bevölkerung mitfinanzieren. Deutschlands Regierung und Bevölkerung sind davon überzeugt, den Krieg zu gewinnen. Die Kosten des Krieges soll dann der besiegte Gegner bezahlen. Eine Rechnung, die bekanntlich nicht aufgehen sollte.
Fatale Doppelmühle
Nach der Niederlage steckt die neue deutsche Republik daher in einer fatalen Doppelmühle. Die Alliierten Frankreich, USA und Großbritannien geben Deutschland die alleinige Schuld am Krieg. Deshalb muss Deutschland nach dem Versailler Friedensvertrag von 1919 extrem hohe Reparationszahlungen leisten. Gleichzeitig steht die Rückzahlung der Kriegsanleihen an die deutsche Bevölkerung an. Zugleich liegt die deutsche Wirtschaft nach dem verlorenen Krieg am Boden. Als die Franzosen im Jahr 1923 wegen verspäteter Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzen, verschärft sich die Lage.
Die Ruhr-Krise
Die deutsche Regierung ruft zu Sabotage und Streik auf. Dafür zahlt sie die Löhne an die Streikenden weiter. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Deutschland gerät in den Strudel der dramatischsten Geldentwertung seiner Geschichte.
Ergebnis: Um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, bringt die Regierung mehr und mehr Geld in Umlauf, auch wenn es für die immer höhere Anzahl Banknoten keine materiellen Gegenwerte mehr gibt. Immer mehr Geld ist immer weniger wert, Preise und Löhne explodieren.
Zwei Beispiele für den Preisverfall: Anfang Juni 1923 kostet ein Ei 800 Mark und ein Liter Milch 1.440 Mark. Am 2. Dezember 1923 kostet ein Ei 320 Milliarden Mark, ein Liter Milch 360 Milliarden. Besonders fatal: Das Ersparte schmilzt wie Schnee in der Sonne. „Die Mittelschicht, die Monatsgehälter bezog und in Geld sparte, verarmte, während in Gewerkschaften organisierte Arbeiter, die Stundenlöhne erhielten, mit täglichen Lohnanpassungen relativ glimpflich davonkamen“, analysiert der deutsche Ökonom Thomas Mayer in seinem aktuellen Werk "Das Inflationsgespenst".
Der Alltag der Deutschen ist skurril. Wer seinen Lohn nicht gleich nach Erhalt wieder ausgibt, kann sich Tage und manchmal Stunden später kaum mehr etwas davon kaufen. Die Menschen, die vor den Lebensmittelgeschäften Schlange stehen, wissen also nicht, wie viel ihr Geld noch wert ist, wenn sie endlich an der Reihe sind.
Wer seinen Lohn am Höhepunkt der Krise im Wochentakt oder gar erst am Monatsende erhält, hat nichts in der Hand und kann die Banknoten gleich verheizen. Der Heizwert der Geldscheine, sagt man, sei höher als der der Kohle, die man dafür kaufen könnte, wenn es sie gäbe.
Geld in Schubkarren
Der elektronische Zahlungsverkehr ist noch nicht erfunden, also rechnen die Menschen bald in Bündeln statt Scheinen. Geld wird in Schubkarren transportiert. Bauern halten ihre Nahrungsmittel zurück, da sie für ihre Produkte nicht länger mit Geld bezahlt werden wollen. Der Tauschhandel blüht.
Die Profiteure
Aber es gibt auch Profiteure. Die Besitzer von Sachwerten wie die Industrie etwa. Und wer Schulden hat, ist fein raus. Denn die sind nun ebenfalls nichts mehr wert. Wie etwa die Wechsel für die Kriegsanleihen an den Staat. Es ist also die deutsche Bevölkerung, die die Lasten und Schulden des Ersten Weltkriegs schließlich bezahlt.
Der damals reichste und mächtigste Unternehmer des Landes, Hugo Stinnes, kann sich hingegen freuen. Seine Schulden verringern sich durch die Inflation um 98 Prozent.
Und ein Akteur der Hyperinflation von 1923 hat ganz besonders von der Finanzkrise profitiert: der Staat. Als am 15. November 1923 die neue Währung eingeführt wird, belaufen sich die Staatsschulden auf 15,4 Pfennige.
Die Währungsreform
Die neue Währung ist die sogenannte Rentenmark (ab 1924 dann Reichsmark). Hintergrund: Angesichts der katastrophalen Folgen der Inflation ändern die USA, Frankreich und Großbritannien ihre Politik gegenüber Deutschland. Nur ein wirtschaftlich starkes Deutschland kann seine Reparationszahlungen leisten.
Gedeckt wird das neue Zahlungsmittel durch die Belastung von Sachwerten, die im Land vorhanden sind. Dafür wird eine eigene Bank gegründet: die Rentenbank. Träger der Bank sind Landwirtschaft, Gewerbe, Industrie und Handel, die vier Prozent ihres Besitzes für die Grundschuld verpfänden. Sie haften damit mit ihrem eigenen Vermögen.
Besonders durch die Hilfe der Amerikaner kann die Lage stabilisiert werden. Die USA gewähren Deutschland neue Kredite. Die deutsche Wirtschaft erholt sich. Das Inflationstrauma aber bleibt. Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881 – 1942) schrieb: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“
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