Infineon-Chefin: "Müssen so gut sein, dass sie uns brauchen"
Sabine Herlitschka über Energiesparchips aus Villach für China, was die Milliardenhilfen der EU bringen und warum kürzer und zugleich länger gearbeitet werden soll
9 Milliarden Chips wurden im Vorjahr bei Infineon in Villach gefertigt, fast 4 Milliarden davon wurden nach China geliefert. Der KURIER sprach mit Infineon-Österreich-Chefin Sabine Herlitschka über globale Abhängigkeiten, Milliardensubventionen und Arbeit, die mehr Sinn als Zeitvertreib sein soll.
KURIER: Der Infineon-Standort in Villach wurde um 1,6 Milliarden Euro ausgebaut. Wann läuft die neue Fabrik in Vollbetrieb?
Sabine Herlitschka: Eine Chipfabrik eröffnet man nicht einfach per Mausklick, die fährt man sukzessive hoch. Wir wollen bis Ende 2024, Anfang 2025 in der Vollauslastung sein und sind gut im Plan.
Wie viele Chips werden dann in Villach gefertigt?
Bei Vollauslastung der neuen Chipfabrik bedeutet das ein zusätzliches Umsatzpotenzial von rund 2 Milliarden Euro pro Jahr.
Was können die Energiesparchips aus Villach?
Sie leiten und schalten Energie so effizient, dass möglichst wenig verloren geht – von der Erzeugung, Übertragung bis hin zur Endanwendung. Dadurch kann CO2 eingespart werden.
Wie viel wird eingespart?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Unsere im Vorjahr produzierten 9 Milliarden Chips helfen rund 7 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Das entspricht rund zehn Prozent der jährlichen CO2Emissionen Österreichs oder 50 Prozent der jährlichen Pkw-Emissionen Österreichs.
Wo werden die Chips aus Villach eingesetzt?
Anwendungen sind etwa im Auto, in Zügen, bei Datenzentren, Haushaltsgeräten, Windkraft oder Photovoltaik-Anlagen, beim Laden von Smartphones oder in Industrierobotern.
Die EU will mit Milliardenförderung bis 2030 Europas Anteil an der Chipproduktion von 10 auf 20 Prozent verdoppeln? Realistisch?
Sehr ambitioniert. Insbesondere, weil sich der aktuelle Halbleitermarkt von derzeit 550 Milliarden Dollar bis 2030 auch rund verdoppeln wird. Das heißt, das europäische Ziel entspricht einer Vervierfachung gegenüber der jetzigen Menge.
Kann in Villach noch eine weitere Fabrik gebaut werden? Grundstücke am Gelände gäbe es ja noch.
Wir evaluieren laufend die Marktentwicklungen.
Die Regierung gab kürzlich den Startschuss zur Umsetzung des „European Chips Acts“. Wie zufrieden sind Sie mit den Plänen?
Der Chips Act ist ein guter und wichtiger Schritt. Er sieht vor, dass im Bereich der Investitionen Kofinanzierungen der nationalen Regierungen erfolgen. Es geht aber nicht nur ums Geld, sondern auch um eine Ausbildungsoffensive für mehr Fachkräfte und um das Schließen von strategischen Lücken in der Wertschöpfungskette, zum Beispiel durch Anwerbung passender Unternehmen, die noch nicht in Österreich sind.
Deutschland ist da weiter und fördert eine neue Fabrik von Intel mit 10 Milliarden Euro. Eine gute Idee oder kontraproduktiv?
Ich möchte das so beantworten: In Österreich wollen wir auf Basis einer Wertschöpfungskettenanalyse genau beurteilen, ob und welchen Mehrwert eine Ansiedelung für das Ökosystem konkret bringt.
Es ist wohl kaum zu erwarten, dass US-Konzerne ihre Wertschöpfung nach Europa auslagern …
Der Chips Act soll die europäischen Stärken weiter stärken. Etwa bei Energiesparchips, wo Infineon einen Weltmarktanteil von 20 Prozent hat. Unsere Chips sind eine zentrale Ressource zur Umsetzung des Green Deals der EU, aber auch China und die USA müssen beim Klimawandel weiterkommen. Wir müssen so gut sein, dass sie uns dafür brauchen.
Bei Computer- und Handychips bleiben wir weiterhin von Asien abhängig, richtig?
Ja. Die Halbleiterindustrie bleibt eine globale Industrie. Es macht keinen Sinn, alles nach Europa zurückzuholen. Die Globalisierung bringt Kostenvorteile und hat Handys und Computer billiger gemacht. Wenn wir alles nach Europa zurückholen wollten, wird es natürlich teurer.
Wie wirkt sich der aktuelle Chip-Streit zwischen den USA und China auf Ihr Geschäft aus?
Wir sehen das mit Sorge. Eine Blockbildung ist global nie gut. Große Herausforderungen wie der Klimawandel sind ein globales Thema, und die Mikroelektronik kann hier viel zur Lösung beitragen. Da sollten alle zusammenarbeiten.
Geht es überhaupt ohne China?
Nein. Erstens ist es ein ganz wichtiger Markt. Im Infineon-Konzern hat er einen Umsatzanteil von 29 Prozent. Etwa die Hälfte der Komponenten werden in Produkten verarbeitet, die China wieder verlassen. Zweitens ist China wichtig bei der Bewältigung der Klimakrise. Da kann es nicht ohne China gehen.
5.500 Beschäftigte
Die Österreich-Tochter des deutschen Halbleiterkonzerns Infineon beschäftigt 5.500 Mitarbeiter aus 80 Nationen, davon 2.300 in der Forschung und Entwicklung. Der Umsatz betrug 2021/22 5,24 Mrd. Euro. In Villach wurden 9 Milliarden Chips für den Weltmarkt gefertigt.
Sabine Herlitschka (57)
Die BOKU-Absolventin ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende von Infineon Austria AG. Sie sitzt u. a. im Präsidium der Industriellenvereinigung (IV) und des Fachverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie
Anderes Thema: In Österreich wird kontrovers über den Teilzeit-Boom diskutiert. Müssen wir in Zukunft mehr oder weniger arbeiten?
Die Arbeitswelt verändert sich, die Arbeitsverhältnisse werden flexibler, etwa durch mehr Homeoffice. Beim Thema Arbeit nur über das „Immer weniger“ zu diskutieren, blendet die Sinnstiftung aus. Arbeit ist ja nicht nur ein Zweck, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdienen muss, sondern es geht auch um Sinnstiftung und Identifikation. Und um weniger Teilzeit bei Frauen zu erreichen, fordern wir schon seit Jahren den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen.
Sind da nicht auch die Betriebe gefordert? Nur wenige haben wie Infineon einen eigenen Kindergarten.
Richtig, viele Unternehmen tun das mittlerweile. Und auch die Gemeinden sollten sich mehr zusammenschließen wie bei den Schulen. Laut Erhebungen beim AMS haben rund 65.000 arbeitssuchende Frauen angegeben, dass sie ihre Stundenzahl mit guter Kinderbetreuung ausweiten würden.
Aber viele Junge wollen kürzer arbeiten. Was halten Sie von der 32-Stunden-Woche?
In vielen Diskussionen geht es eher um mehr Flexibilität, nicht um weniger arbeiten. Genau genommen ist die Lebensarbeitszeit schon über die Jahre immer weniger geworden, etwa durch die längere Ausbildungszeit. Die produktive Phase ist heute deutlich kürzer als vor 20 Jahren.
Mehr Arbeitsjahre, dafür weniger Wochenstunden wäre eine gute Idee?
Ja, das sieht man ja auch an anderen Ländern. Die Arbeit sollte über die gesamte Lebensspanne flexibel betrachtet werden. Das wäre für viele Menschen ein guter Schritt zu einem noch selbstbestimmteren Leben.
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