Die Austria Technology & Systemtechnik AG (AT&S) mit Sitz in Leoben ist ein Weltkonzern mit 14.000 Beschäftigten. Prominenteste Großaktionäre sind Hannes Androsch und Willi Dörflinger. Zu den Kunden von AT&S zählen etwa Apple, Intel, aber auch die großen europäischen Autozulieferer.
Der KURIER sprach mit AT&S-Vorstandchef Gerstenmayer über kürzere Arbeitszeiten, teure KV-Lohnerhöhungen, die Risiken in China, die Milliarden-Subventionen für die europäische Chipindustrie - und die "Profitgier" der Industrie.
KURIER: Was halten Sie von der Idee einer 32-Stunden-Woche?
Gerstenmayer: Das steigert bestimmt die Wettbewerbsfähigkeit (lacht). Vor allem, wenn man weiß, dass in anderen Ländern 40 oder 50 Stunden gearbeitet werden.
Was sagen Ihre Mitarbeiter?
Vor allem in Asien wollen Mitarbeiter Überstunden machen. Die gehen weg, wenn sie keine Überstunden machen können.
Dann sollten Sie zu dem Thema den neuen SPÖ-Chef bei seiner Österreich-Tournee in Ihr Werk einladen...
Er ist herzlich willkommen.
Der Standort in Leoben wird erweitert. Sie suchen 700 Leute. Finden Sie die überhaupt?
Ja. In aller Welt. Wir haben schon bald 200 Beschäftigte aus 27 Nationen aufgenommen.
Die Austria Technology & Systemtechnik AG (AT&S) mit Sitz in Leoben/Steiermark ging 1987 aus der Privatisierung mehrerer verstaatlichter Industriebetriebe durch die Investoren Hannes Androsch und Willi Dörflinger hervor. Beide halten über ihre Privatstiftungen jeweils 18 Prozent am börsenotierten Unternehmen, der Rest ist in Streubesitz.
AT&S zählt zu den führenden Herstellern von Leiterplatten und IC-Substraten der Welt. Leiterplatten finden sich in nahezu allen elektronischen Geräten in verschiedenen Formen und Größen. IC-Substrate dienen als Verbindungselemente zwischen Leiterplatten und Chips. Zu den Kunden zählen Apple, Intel, aber auch die großen europäischen Autozulieferer.
Die Produktionsstandorte befinden sich in Leoben und Fehring in Österreich, in China (Chongqing, Schanghai), Korea und Indien. Der Standort in Leoben wird gerade um ein F&E-Zentrum erweitert. Die ersten Anlagen gehen noch heuer in Betrieb. Ein weiterer Produktionsstandort entsteht gerade in Kulim/Malaysia. Weltweit werden 14.000 Mitarbeiter beschäftigt, 1.500 davon in Österreich.
Jahresbilanz
Der Umsatz stieg im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022/23 um 13 Prozent auf 1,79 Mrd. Euro, währungsbereinigt blieb ein Plus von 3 Prozent. Das Konzernergebnis legte um 32 Prozent auf 137 Mio. Euro zu.
Andreas Gerstenmayer
Andreas Gerstenmayer (58) ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender. Zuvor war der Diplomingenieur 18 Jahre lang im Siemens-Konzern tätig, etwa als GF der Siemens Transportation Systems Gmbh.
Zuletzt wurde hierzulande über die Lohn-Preis-Spirale und die Inflation gestritten. Wie wirken sich denn die KV-Abschlüsse auf AT&S aus?
Die letzten Abschlüsse in der Elektronik- und Elektroindustrie bedeuten für ein produzierendes Unternehmen wie unseres durchgerechnet eine Erhöhung von 13 Prozent. Das kann man nicht an die Kunden abwälzen. Die 13 Prozent bedeuten im Äquivalent übrigens 220 Mitarbeiter…
Und trotzdem investiert AT&S noch in Leoben?
Wir haben uns entschieden, die Forschung und Entwicklung in Österreich zu stärken. Die Hochvolumens-Produktion wird in Südostasien weiterentwickelt.
AT&S hat in China zwei Werke. Wie bereiten Sie sich auf einen möglichen Taiwan-Konflikt vor?
Also wenn zwischen China und Taiwan ein Krieg ausbricht, hat die Welt sicher nicht nur ein Problem im Chipsektor. Dann gibt es eine globale Krise von höchstem Ausmaß, die nur Verlierer sehen würde. Dann gibt es viele Lieferketten nicht mehr. Abgesehen davon ist Taiwan systemrelevant für die globale Mikroelektronik.
Wie schätzen Sie denn die aktuelle Lage ein?
Wir müssen nicht in Panik verfallen. Bei AT&S haben wir uns aber schon 2021 entschieden, in Malaysia ein neues Werk zu bauen und damit unseren regionalen Foodprint zu diversifizieren.
Die Frage ist, was passiert, wenn wir aus China nicht mehr herausliefern können oder dürfen. Zu 100 Prozent könnten wir dann nicht allen Lieferungen nachkommen. Aber mit Malaysia werden wir nun in einigen Quartalen die höhere Technologie zur Verfügung haben.
Ist eine Abspaltung des China-Geschäftes ein Thema?
Derzeit bleiben, soweit mir bekannt, die meisten großen Konzerne in China, niemand will den Markt aufgeben. Aber viele machen sich Gedanken, wie sie künftig in China für China produzieren könnten. Eine Komplett-Abkopplung mit dem Ziel etwa eines Verkaufs ist derzeit aber nirgends ein Thema.
Nach Europa. Die EU will sich gegen Nachschubprobleme und Produktionsengpässe bei Chips wappnen und unabhängiger werden. Geht das?
Nein. Eine komplette Eigenversorgung wird nicht stattfinden.
Mit dem "European Chips Act" sollen aber 43 Milliarden Euro investiert werden, um die Produktion in der EU deutlich zu steigern.
Die 43 Milliarden sind zunächst einmal viel zu wenig. Und dann will man das Geld für echte Hardware-Fabrikproduktion ausgeben. Zum Vergleich: Eine hochmoderne Chip-Fabrik kostet so in etwa 25 Milliarden Euro. Die USA investieren an die 280 Milliarden. Der Großteil geht da in neue Technologien, Forschung und Entwicklung.
Nur die reine Chipproduktion in Europa anzusiedeln, ist zuwenig. Die Mikroelektronik besteht ja auch aus der Verbindungstechnologie und dem Gehäuse, dem sogenannten Packaging. Da haben wir in Europa nur vier Prozent Weltmarktanteil. Die meisten dieser Komponenten müssen heute nach Asien zum Packaging (Einhausung des Halbleiters, Anm.), damit man sie verwenden kann.
Leiterplatte: Die Leiterplatte ist der Träger, auf dem die verschiedenen Komponenten montiert werden. Eine klassische Leiterplatte ist das Motherboard des Computers. Leiterplatten finden sich aber in nahezu allen elektronischen Geräten in verschiedenen Größen und Formen.
IC-Substrate: Diese Schicht liegt zwischen der Leiterplatte und den Chips. Chips haben eine Nanometerstruktur, Leiterplatten eine Mikrometerstruktur. Die IC-Substrate fungieren als „Übersetzer“. Sie ersetzen die alte Verbindungsmethode, bei denen die Chips seitlich mit Drähten mit den Leiterbahnen der Leiterplatte verbunden wurden. Dadurch wird Platz gespart und Geräte können kleiner gebaut werden (Miniaturisierung).
Substrat-ähnliche Leiterplatten: Sind Leiterplatten, mit feineren Mikrometerstrukturen und mehr Anschlüssen als herkömmliche Leiterplatten. Sie ermöglichen „Packaging“ – das Zusammenfassen von Chips und anderer Komponenten in ein Gehäuse. Der kleinere Formfaktor wird etwa für Wearables und Internet-der-Dinge-Anwendungen genutzt.
Sie kritisieren auch, dass mit dem Chips Act große EU-Länder bevorzugt werden...
Das Geld muss aktuell aus den nationalen Budgets kommen und damit treten die EU-Staaten in den Wettbewerb. Kleine Staaten haben da kaum eine Chance. Besser wäre es gewesen, einen europäischen Mikroelektronik-Fonds zu schaffen, wo sich die besten Projekte bewerben können.
Was kann Europa sonst noch tun?
Internationale Technologieführer mit neuester Technologie herholen, denn selber aufbauen, dauert viel zu lange. Und rund um diese Technologieführer sollte man Forschungsnetzwerke errichten.
Die Technologieführer aus Asien und den USA werden ihr Know-how aber wohl eher in ihren Heimatregionen behalten?
Umso wichtiger ist es, sich zu fragen, was bekommen wir, wenn in Deutschland der US-Riese Intel für ein 30-Milliarden-Werk zehn Milliarden an Förderung erhält: Nur Jobs? Oder auch Innovation?
Also?
Also wenn man so eine Förderung ausschüttet, muss man darauf drängen, dass da modernste Technologie und Know-how angesiedelt werden.
Aber warum überhaupt so eine gewaltige Förderung?
Weil wir in Mitteleuropa einen eklatanten Standortnachteil haben: Hohe Lohnkosten, hohe Energiekosten, viel Bürokratie. Da müsste man etwas ändern.
Apropos Standort: Was sagen Sie zum Lieferkettengesetz?
Die Industrie ist schon aus Eigeninteresse daran interessiert, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette moralisch einwandfreie Standards herrschen. Aber jeden Sub-Sub-Sub-Lieferanten zu kontrollieren, ist undurchführbar. Brüssel sagt, dass das Gesetz ein Wettbewerbsvorteil ist. Ich als AT&S habe aber keinen Wettbewerb in Europa. Sondern in Japan, Korea, China. Dort haben sie kein Lieferkettengesetz.
Was sagen Sie zum Vorwurf, dass die Industrie in Europa jahrzehntelang nur aus Profitgier nach Asien ausgelagert hat?
Na dann kann man sich ja unsere Profite ansehen und wieviel Gier da vorhanden ist. Und wenn die europäischen Konsumenten bereit sind, für ihre elektronischen Geräte das Doppelte und Dreifache auszugeben, dann bitte sehr gerne. Aber bekanntlich heißt es: "Geiz ist geil".
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