Von wegen "passt schon": Viele Kellner fallen um ihr Trinkgeld um
Eines vorweg: In die Trinkgeldkassa lassen sich Kellner nicht gerne schauen. Weder der Chef, noch der Kollege und schon gar nicht die Finanz soll wissen, wie viel im Topf ist. „In Top-Betrieben am Arlberg können es 5.000 Euro im Monat sein“, plaudert ein Branchenkenner im KURIER-Gespräch aus dem Nähkästchen. Ob das auch diesen Winter so sein wird, steht aber in den Sternen.
Denn viele stehen beim Trinkgeldgeben auf der Sparbremse, ist aus der Gastronomie zu hören. „In unserem Betrieb gibt es viele Hochzeiten mit 70, 80 Gästen. Diesen Sommer ist es schon drei Mal passiert, das wir bei solchen Hochzeiten, die Rechnungen von 10.000 Euro haben, nicht einen Cent Trinkgeld bekommen haben. Das hat es früher nie gegeben“, erzählt ein Wirt aus dem Osten Österreichs, der seinen Namen in diesem Zusammenhang lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Sonst können sich ganze Hochzeitsgesellschaften ausrechnen, wie knausrig das Brautpaar war.“
Von wegen „passt schon“
Auch in der klassischen Ferienhotellerie rollt der sprichwörtliche Rubel nicht mehr so wie früher, weiß Walter Veit, Hotelier, Gastronom in Obertauern sowie Sprecher der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), aus eigener Erfahrung: „Im Winter haben die Kartenzahlungen massiv zugenommen. Parallel dazu hat sich für viele das Thema Trinkgeld erledigt.“ Viele Gäste würden nur noch die Karte hinhalten und den Blickkontakt zum Kellner vermeiden. Hat vor Corona in seinen Betrieben etwa jeder Dritte mit Karte gezahlt, so ist es jetzt schon jeder zweite. „Das Trinkgeld ist im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte zurückgegangen“, schätzt Veit. Denn auch Barzahler seien neuerdings tendenziell knausrig. „Bei Rechnungen von 18,80 Euro hat früher jeder 20 gesagt, heute lassen sich viele auf den Cent genau rausgeben.“ Sein Kassasturz ergibt: „Auf 1.000 Euro Umsatz kommen vielleicht sieben Euro Trinkgeld.“
Ein Trend, der sich auch an den Wiener Würstelbuden widerspiegelt, weiß Ling Bitzinger, Betriebsleiterin des gleichnamigen Würstelstandimperiums, zu dem unter anderem auch der Augustinerkeller in der Wiener Innenstadt gehört. „Früher hat das Trinkgeld etwa 3,5 Prozent vom Umsatz ausgemacht, derzeit nur noch ein Prozent“, schätzt Bitzinger. Am spendabelsten seien noch die Wiener und Gäste aus den Bundesländern. Touristen aus Südeuropa oder Asien, also aus Ländern ohne Trinkgeldkultur, haben schon vor der Krise beim Bezahlen kaum aufgerundet, weiß jeder, der einmal gekellnert hat.
Wirtshausbesucher sind generell preissensibler geworden, sagt Branchensprecher Mario Pulker. Eine Mitgliederumfrage habe ergeben, dass 35 Prozent der Betriebe bereits Gerichte aus der Speisekarte gestrichen haben, weil Gäste nicht mehr bereit sind, dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen. „Die gestiegene Sparneigung ist bei 70 Prozent der Gäste spürbar.“ Während gehobene Lokale und kleine Imbissläden mit viel Laufkundschaft noch relativ gut durch die Krise kommen, würde vor allem das mittlere Segment leiden. „Und damit typische Landgasthäuser, die nach und nach zusperren.“
Wie viel man als Kellner verdient, ist derzeit vor allem eines – Verhandlungssache.
Streng nach Kollektivvertrag liegt der Mindestlohn seit 1. Mai bei Hilfskräften bei 1.629 Euro und bei Fachkräften in den ersten beiden Berufsjahren bei 1.700 Euro. Um wie viel sich dieses Salär letztlich mit Trinkgeld auffetten lässt, hängt wiederum von der Lage bzw. der Zielgruppe ab. Der Arlberg gilt mit seinem kaufkräftigen Klientel traditionell als Trinkgeld-Eldorado. Generell konnten Kellner in der gehobenen Gastronomie und in Tourismusgebieten am leichtesten ihren Gehalt mit dem Trinkgeld verdoppeln, sagen Insider. Fällt dieses jetzt weg, werden viele Jobs unattraktiv.
Ausgerechnet in der Tourismus-Branche, die schon jetzt 30.000 offene Stellen meldet, trotz Überschreiten des Beschäftigungshöchststands von 2019. „Allein das zeigt, dass wir als Arbeitgeber gar nicht so unbeliebt sind“, meint Hoteliersprecher Johann Spreitzhofer. Zuletzt sei unter anderem die Teilzeitquote stark gestiegen, was das Personalproblem weiter verschärft habe.
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