Felbermayr: "Gefahr, dass wir im Herbst ein Chaos erleben"

Gabriel Felbermayr, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo).
Sollten die Gasmengen knapp werden, ist der Wifo-Chef für einen Auktions-Mechanismus. Das Wifo erhöht zudem die Inflationsprognose heuer von 5,8 auf 6,5 Prozent.

Corona, Teuerung, Krieg: Akute Krise beeinflussen die wirtschaftliche Lage, Voraussetzungen ändern sich teils täglich. Dementsprechend "schwierig" sei derzeit die Arbeit der Wirtschaftsforscher, sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr am Sonntag in der ORF Pressestunde. Bei den Prognosen würde man im "Nebel stochern". Gleichzeitig gab der Wirtschaftsexperte bekannt, dass das Wifo die Jahres-Inflationsprognose von 5,8 auf 6,5 Prozent erhöht.

Was sich auch prognostizieren lässt: Ein Öl-Embargo gegen Russland würde sich prinzipiell "klein" auf Österreich auswirken, auch wenn die Inflation um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte steigen dürfte.

Weitaus gravierender wäre ein Gas-Embargo, weshalb die Regierung auch Reserven anlegen will. Wie? "Uns würde brennend interessieren, wie man die Energielenkung vornehmen würde", sagte Felbermayr. "Wir könnten besser informiert sein."

Wirtschaftsforschung in Krisenzeiten

Auktionen um verbliebenes Gas

Falls das nicht gelingt und Mengen aufgrund von Gas-Knappheit nur noch rationiert verteilt werden können, spricht sich der Wifo-Chef für einen "Auktions-Mechanismus" aus. "Wenn man glaubt in der Hitze des Gefechtes die Verteilung demokratisch festzulegen, dann wird man sich wundern", sagte Felbermayr. "Wer soll denn dann abgedreht werden in welcher Branche?", fragte er in Richtung Regierung. Zu sagen, "jeder kriegt 30 Prozent weniger wäre volkswirtschaftlich gar nicht gut. Die Kosten werden viel höher wenn die Rationierung des Gases im Chaos endet", warnte der Wifo-Chef und mahnte mehrmals Vorbereitungen "jetzt" ein.

Beim Auktions-Mechanismus sei dann eine Priorisierung von Sektoren nötig. Auktionen sollen in Sektoren stattfinden, die nicht systemrelevant sind. Zuerst müsse Gas bei den Haushalten fließen, danach in allen anderen systemrelevanten Sektoren - Energieversorger, Gesundheitssystem, der Lebensmittel-Industrie. Und was passiert zum Beispiel mit Zigaretten-Produzenten? "Was dann noch überbleibt, muss verteilt werden. Da ist die Gefahr, dass wir da im Herbst Chaos erleben und dass dieses Chaos viel größeren volkswirtschaftlichen Schaden auslöst, als der Mangel an Gas", so Felbermayr.

Abhängigkeit der Energieversorgung von Russland

Neue Öl- und Gas-Geschäfte mit Russland würde Felbermayr mit Zöllen belegen. Bei bestehenden Verträgen ist das nicht möglich. Die OMV hat etwa Gasliefer-Verträge mit der russischen Gazprom bis 2040. Diese Verträge beinhalten eine Take-or-Pay-Klausel. Heißt: Selbst wenn die OMV kein Gas mehr bezieht, muss es weiterhin für eine vereinbarte Menge bezahlen.

Sozialleistungen indexieren

Alarmismus sei angesichts der der bald angepassten Inflationsrate von nunmehr 6,5 Prozent angebracht, so Felbermayr. Wie kann man diese enorme Rate treffsicher ausgleichen?

Situation der Inflation

"Die Situation ist ja die, dass wir in Österreich viele Sozialleistungen, viele Pauschalbeträge nicht an die Inflation anpassen." Bleibt die Inflation so hoch, sei dieses System nicht mehr durchhaltbar. Eine automatische Anpassung der Sozialleistungen an die Inflation wäre also "dringend notwendig", wenn der Inflationsdruck zu stark wird.

Diese Forderung hatte Felbermayr bereits im Februar, vor Kriegsbeginn, formuliert. Geht es nach Felbermayr, werden die Sozialleistungen dauerhaft indexiert. Mindestsicherung oder Pflegegeld würden also automatisch mit der Inflation steigen. Eine Mehrwertsteuersenkung würde hingegen alle begünstigen, was "sehr teuer" und nicht treffsicher sei, betonte Felbermayr.

Schieflage am Arbeitsmarkt

Erbschaftssteuer? Vorstellbar

Im OECD-Vergleich ist der Faktor Arbeit nur in Deutschland und Belgien höher belastet, als in Österreich. Einmal mehr forderte Felbermayr deshalb ein Aus oder eine Senkung der Kalten Progression. So könne der Finanzminister dabei helfen, dass die Tarifverhandlungen im Herbst leichter werden. Die Lohnnebenkosten müsse man sich auch insgesamt anschauen. Die Neuordnung der Arbeitslosenversicherung werde derzeit ohnehin vorbereitet.

Wie könnte man diese Entlastungen gegenfinanzieren?

Eine Vermögenssteuer hält der Wifo-Chef nicht für zielführend, eine Erbschaftssteuer hingegen schon: "Ich glaube schon, dass das Elemente wären, die man sehr ernsthaft diskutieren müsste." Die vererbten Volumina "werden sehr viel größer", sagte Felbermayr. Um die Staatsaktivitäten zu erhöhen, müsse "man immer zwischen Übeln wählen", so der Wirtschaftsexperte.

Kalte Progression

"Wettbewerb wird ausbrechen"

Diskutiert wird derzeit eine Erleichterung beim Zugang zur Staatsbürgerschaft. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach sich dafür aus, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) dagegen.

Felbermayr sieht zwar eher eine demokratiepolitische Diskussion, hält aber eine Aufweichung der aktuellen Regelung für diskussionswürdig - vor allem in Hinsicht auf den Fachkräftemangel: "Wir werden uns in den nächsten Jahren um Talente bemühen müssen. Da wird ein Wettbewerb ausbrechen. Wir werden den Standort attraktiv machen müssen. Da könnte eine großzügigere Handhabung der Staatsbürgerschaft schon helfen."

Einen Wechsel in die Politik kann sich Felbermayr "zur Zeit" im Übrigen "nicht vorstellen".

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