Holzmann erklärt auch, warum er sich nicht mehr für eine zweite Amtszeit beworben hat.
KURIER: Der Inflationsschock sitzt den Menschen in den Knochen, wie man am Angstsparen und der Konsumzurückhaltung sieht. Jetzt steigt die Inflation erneut, weil die Energiepreise anziehen. Werden wir demnächst schon wieder Zinserhöhungen erleben?
Robert Holzmann: Zinsanhebungen sehe ich im Moment nicht. Was aber sein könnte, dass man sich bis zur nächsten Zinssenkung mehr Zeit lässt. Ja, es gibt bei manchen Energiepreisen wieder Signale nach oben. Aber es gibt auch andere Szenarien, wie die Inflation zurückkommen könnte, etwa über eine stärkere Abwertung des Euro.
Holzmann: Sie haben im Juni als einziger Notenbankchef im EZB-Rat gegen die erste Zinssenkung gestimmt. Wenn die Inflation jetzt wieder anspringt, fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt?
Ja, denn wir verfolgen im EZB-Rat einen Meeting-to-Meeting-Ansatz. Und gerade zu diesem Zeitpunkt gab es bei der Inflation wieder Bewegung nach oben, sodass aus meiner Sicht durchaus Gründe gegen eine Zinssenkung gegeben waren. Die Zinssenkung wurde aber dennoch durchgeführt, weil es im EZB-Rat eine klare Mehrheit dafür gab, und das ist selbstverständlich zu respektieren.
Sehen Sie sich als Unruhestifter in der EZB? Sie waren ja auch für eine höhere unverzinste Mindestreserve der Banken bei der EZB und sind damit allein geblieben ...
Nein, ich sehe mich nicht als Unruhestifter. Ich sehe mich als jemand, der eine eigene Meinung hat, diese offen vertritt und bei einer Entscheidung bleibt, wenn er sie einmal getroffen hat.
Donald Trump will einen Krieg der Zölle lostreten. Wird das die Inflation weiter anheizen oder dämpfen, weil das Nachfrage und Wachstum kostet. Es gibt Stimmen, die deshalb schnellere Zinssenkungen fordern. Wie sehen Sie das?
Da gibt es unterschiedliche Modelle und wie immer in der Ökonomie hängt alles von den konkreten Annahmen ab. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass Trumps Zölle insgesamt zu einer Wachstumsabschwächung führen, aber auch Inflationsdruck entsteht. Stärker in den USA als bei uns. Wie stark der Effekt sein wird, hängt entscheidend davon ab, ob und wie stark der Dollar aufwertet und der Euro abwerten wird.
Je schwächer der Euro, desto höher die Inflation?
Ja, denn Europa ist relativ stark außenwirtschaftlich orientiert. Und ein schwächerer Euro verteuert Rohstoff- und Warenimporte, die in Dollar abgerechnet werden.
Hat die Politik mit ihrem Jubel über die seit Jahresbeginn sinkende Inflation der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut? Es wurde ja nichts billiger, nur die Preissteigerungen wurden geringer ...
Richtig, und bei weiterhin hohen Preisen entsteht natürlich nicht das Gefühl, dass die Inflation gesunken ist. Das mag auch ein Grund für die allgemeine Konsumzurückhaltung sein. Aber viele Menschen fühlen sich auch ärmer, als sie tatsächlich sind. Der Inflationsausgleich durch stark gestiegene Löhne und Pensionen wird oftmals nicht als solcher erkannt.
Was sagen Sie zur Kritik an der EZB, Sie wäre beim Anstieg der Inflation mit der ersten Zinserhöhung erst Mitte 2022 zu langsam gewesen und dann auch beim Rückgang der Preise mit der Zinswende erst im Juni 2024?
Am Beginn waren wir wohl zu langsam, das würde ich unterschreiben. Ich glaube, das sehen heute auch viele meiner Kollegen so. Aber zu langsam mit der Zinssenkung? Nein. Ich glaube nicht. Es gab hartnäckige Preissignale, die das gerechtfertigt haben.
Die vielen falschen Prognosen fliegen den Wirtschaftsforschern jetzt um die Ohren. Auch die Prognosen der OeNB für 2024 lagen daneben. Wie kann man das Vertrauen der Menschen in die „Experten“ wieder zurückgewinnen?
„Nichts ist schwieriger als die Zukunft vorher zu sagen“, wie es so schön heißt. Das gilt auch für uns. Wir dachten, dass die doch sehr hohen Lohnsteigerungen einen Konsumboom auslösen werden, der das Wachstum tragen würde. Nicht nur in Österreich, auch in ganz Europa hat das aber nicht stattgefunden, weil die Leute sparen. An so hohe Sparquoten, die sich auch länger halten als prognostiziert, kann ich mich historisch nicht erinnern.
Die Löhne sind kräftig gestiegen, aber die Sparguthaben sind in drei Jahren auch um mehr als 20 Prozent entwertet worden. Wer auf den Notgroschen schaut oder sich eine Wohnung kaufen will, sieht sehr wohl, dass er ärmer geworden ist.
Vollkommen richtig. Man kann das Sparen als Notwenigkeit sehen, die Realkassen wieder aufzufüllen. Das ist in der Zwischenzeit auch weitgehend wieder geschehen. Und dennoch ist die Ausgabenneigung der Menschen nicht gestiegen.
Dafür war jene der Politik stets hoch. Die Koalitionsverhandler haben ein riesiges Budgetloch zu stopfen. Ein Sparpaket schafft noch kein neues Wachstum. Was ist Ihr Ansatz?
Ich halte mich an die gute alte Kleiderordnung und mische mich da nicht mit gut gemeinten Ratschlägen ein. Ich will nur einen Punkt nennen, der längerfristig von entscheidender Bedeutung sein wird: Es führt – so wie überall auf der Welt – kein Weg am längeren Arbeiten in Richtung 70 vorbei. Da geht es um eine Fülle an Reformen vom Arbeitsmarkt bis zum Steuersystem und nicht nur einfach um das Anheben des Antrittsalters. Ich bin überzeugt: Künftig gewinnt jene Gesellschaft, die am besten versteht, Ältere im Arbeitsleben zu halten.
Zuerst die stark gestiegenen Zinsen, dann die neuen Kreditvergaberegeln der KIM-Verordnung. War man da nicht viel zu streng?
Ich habe diesen Mythos nie verstanden, dass deshalb viele mögliche Kredite nicht zustande gekommen sind. Schuld waren nicht die Kreditregeln, sondern die Zinsen und die enorm gestiegenen Immobilienpreise. Die KIM-Verordnung war richtig, um Haushalte vor einer Überschuldung zu bewahren. Die Aussage, junge Familien können sich kein Haus mehr leisten, ist auch so eine Sache. Es hat in der Nachkriegsgeschichte bisher nie die Möglichkeit gegeben, dass sich eine junge Familie aus dem Stand heraus ein Haus mit Garten, am besten noch in der Stadt, leisten kann. Außer man erbt, die Familie zahlt mit oder man gewinnt im Lotto.
Ihr Vertrag läuft bis Ende August 2025. Sie haben sich nicht mehr für eine zweite Amtszeit beworben. War daran auch Ihr Verhältnis zur ÖVP schuld? Bei Ihrem Nein zur Zinssenkung wurde Ihnen von der ÖVP ausgerichtet, Sie hätten die „Interessen der Bevölkerung in keinster Weise verstanden“ ...
Schon möglich. In Wahrheit habe ich mich aber aus rein persönlichen Gründen nicht mehr beworben. Ich bin jetzt 75. Würde ich weitere sechs Jahre im Amt bleiben, wäre ich dann schon über 80. Und wenn ich an die vielen Todesfälle der jüngsten Zeit denke: Ich will nicht direkt von der Nationalbank auf den Zentralfriedhof wechseln.
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