Experten: „Corona war die digitale Reifeprüfung“
Österreich habe riesiges Potenzial, dämpfe seine wirtschaftlichen Chancen aber durch Technologie- und zum Teil auch durch Unternehmerfeindlichkeit. Auch an der Bildung müsse dringend geschraubt werden.
Zu dem Schluss kamen die Manager Michael Zettel (Österreich-Chef Accenture), Thomas Arnoldner (CEO A1 Telekom Austria) und Stefan Borgas (Chef der RHI Magnesita) im Rahmen einer Buchpräsentation am Dienstagabend. Thema: Wie kann Österreich digital Weltklasse werden?
Trotz der Lockdowns war laut Zettel die Zeit der Pandemie für viele Unternehmen eine lehrreiche. Die Betriebe hätten erkannt, wo es in Sachen Digitalisierung noch Aufholbedarf gibt und was bereits funktioniert. „Corona war die digitale Reifeprüfung.“
Lehrkräfte-Desaster
Im Bildungsbereich müsse es ein höheres Augenmerk auf technische Fächer geben – und auch das Interesse von Mädchen besser geweckt werden. Auch die Ausbildung von Lehrkräften sei nicht optimal, meint RHI Magnesita-Chef Borgas: „Die machen ein sehr seriöses Fachstudium, stellen sich vor die Klasse und lehren 40 Jahre dieses Fachwissen. In einer Welt, in der neue Technologien eine Halbwertszeit von rund fünf Jahren haben, funktioniert das so nicht mehr.“ Die Tatsache, dass Lehrkräfte nicht jährlich zu Fortbildungen geschickt werden müssen, hält er für „ein Desaster“.
Aber auch innerhalb von Unternehmen sollten mehr Bildungsmöglichkeiten angeboten und genutzt werden. Zettel schlägt zehn bis 20 Weiterbildungstage für jeden Arbeitnehmer vor. Arnoldner ist durchaus selbstkritisch: Viele Unternehmen würden Mitarbeiter über 40 durch junge Universitätsabsolventen ersetzen, anstatt ihnen innerbetriebliche Fortbildungsmöglichkeiten zu bieten. „Nach wie vor ist der Anreiz für Unternehmen, ihre Bildungsprobleme über den Arbeitsmarkt zu lösen, zu groß“, meint er. Und es ist nicht zukunftsträchtig: „Das wird zu einem Wachstumshemmnis, weil man dann gezwungen ist, in andere Märkte zu gehen. Dort findet man die Leute leichter als bei uns“, so Arnoldner.
Kritik wurde auch an der Bürokratie geübt. „Es liegt nicht an unseren Politikern, es liegt am Beamtenapparat“, sagte Borgas und kritisierte dabei die langen und umständlichen Behördenwege.
Für den Wirtschaftsstandort sei es überlebenswichtig, Visionen zu entwickeln und innovative Wege einzuschlagen – aber ohne auf die Deutschen zu schielen, wie (der Deutsche) Borgas launig anmerkte. Aber wo sind die Marktlücken? Buchautor Zettel sieht sie zum Beispiel im Gesundheitssektor: „Unser Gesundheitssystem ist bereits Weltklasse. Es wäre ein Leichtes, ein Ökosystem rundherum zu bauen, damit wir auch im digitalen Gesundheitswesen Weltklasse werden.“ Big Data könne Leben retten.
Dass die Stopp-Corona-App (die von Accenture entwickelt wurde), so viel Widerstand erzeugte und nie breitflächig genutzt wurde, hat Zettel seinerzeit sprachlos gemacht – und gab den Auslöser, um sein Buch zu schreiben. (Trotz des Zorns darüber ist es ein optimistisches Werk geworden.) Datenschutz sei wichtig, sollte aber nicht jeden Fortschritt hemmen, meint er.
„Das digitale Wirtschaftswunder“ von Michael Zettel erschien Anfang 2021. Er führt Beispiele aus der Wirtschaft an, bei denen die Möglichkeiten der Digitalisierung im Zuge der Pandemie ausschöpft wurden, sowie die Chancen der Digitalisierung in Österreichs Unternehmertum.
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