Experte: Volles Ausmaß der Inflation trifft Konsumenten erst 2023

Experte: Volles Ausmaß der Inflation trifft Konsumenten erst 2023
In fast allen Branchen steigen die Produzentenpreise. Günstiges Geld als Nährboden.

Schon jetzt stöhnen die privaten Haushalte unter den stark steigenden Preisen, aber es kommt noch dicker, warnt der Beschaffungsexperte Wolfgang Schnellbächer von der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG). "Die Preiserhöhungen, die wir auf der Produzentenseite sehen, sind bei weitem noch nicht auf der Konsumentenseite angekommen." Die Weitergabe der Teuerung an die Haushalte werde sich weit ins nächste Jahr hineinziehen, so der Experte.

Die Teuerung habe nicht erst mit dem Ukraine-Krieg begonnen, sagte Schnellbächer im Gespräch mit der APA. "Bereits im Dezember hatten wir deutlich erhöhte Inflationszahlen, die wurden durch die Knappheit aufgrund des Ukraine-Krieges noch weiter verschärft." Weil die Informationsweitergabe auf der Produzentenseite nicht optimal sei und es die Manager auch nicht gewöhnt seien, mit solchen Situationen umzugehen, würden die Kostensteigerungen erst nach und nach weitergegeben. Der Produzenten-Inflationsindex sei um die 30 Prozent gestiegen, auf der Konsumentenseite gebe es Teuerungsrate zwischen 8 und 10 Prozent.

Experte: Volles Ausmaß der Inflation trifft Konsumenten erst 2023

Das Problem im Unternehmensbereich sei, "dass der Einkauf nicht mit dem Vertrieb spricht. Das ist ein Muskel, der bisher gar nicht genutzt wurde." Nun würden in den verschiedensten Branchen, vom Maschinen- und Motorenbau bis zu Baustoffen, die Preise noch einmal erhöht. "Ich habe in den letzten Wochen mit 43 Unternehmen gesprochen: Alle, bis auf eines, wollen die Preise erhöhen." Diese Preiserhöhungen würden sich noch einmal in einer erhöhten Inflation widerspiegeln.

Auch bei den Lohnverhandlungen müssten sich die Akteure erst an die neue Spielregeln gewöhnen. "Da werden zukünftige Inflationen bereits eingepreist und in die Forderungen proaktiv hineingetragen. Das ist etwas, was man so noch gar nicht kennt und das die Spirale weiter anheizt." Bei den von Unternehmen zugekauften Dienstleistungen, etwa IT-Services, habe die Teuerung bisher noch am wenigsten zugeschlagen, hier gebe es noch Nachholbedarf. Diese weitere, durch erhöhte Lohnforderungen entstehende Teuerungswelle werde die Unternehmen erst noch treffen.

Günstiges Geld als Nährboden

Ein massiver Nährboden für die hohe Inflation sei zunächst das günstig verfügbare Geld gewesen, "das kann man sich wie einen trockenen Heuschober vorstellen". Die Knappheiten, die es dann am Markt gegeben habe, seien dann der Funke gewesen, der den Heuschober entzündet habe. "Die Auftragseingänge sind noch immer hoch, weil noch einiges an Geld da ist. Jetzt sorgen die Knappheiten dafür, dass wir sukzessive diese Geldmenge verpulvern, was sich als Triebfeder für die Inflation erweist. Je günstiger das Geld ist, je niedriger die Zinsen sind, desto größer ist der Anreiz, weiter zu investieren und zu konsumieren - sowohl auf der Investoren-, wie auch auf der Konsumentenseite." Die Maßnahmen der Regierungen zur Linderung der Inflationsfolgen würden die Inflation noch weiter befeuern.

Schnellbächer geht davon aus, dass sich die verzögerte Weitergabe der Kostensteigerungen noch weit ins nächste Jahr hineinziehen wird. "Wir sehen immer noch Schreiben von Produzenten an andere Produzenten, in denen quasi steht: 'Wir müssen die Preise erhöhen, wir wissen aber noch nicht um wie viel.'"

Wenn man den Strompreis durch Subventionen niedrig halte, werde dort zwar die Inflation bekämpft, "aber ich muss das Geld ja irgendwo hernehmen. Ich habe dann zwar den Energieanbieter gestützt, aber ich muss dann an anderer Stelle Geld eintreiben, was dort wiederum die Inflation fördert." Außerdem werde durch diese Maßnahmen das Stromsparen unterbunden. Den Konsumenten an verschiedenen Stellen etwa durch höhere Steuern Geld wegzunehmen, aber dort, wo man durch Preise steuern sollte, dies nicht zu tun, "das hört sich für mich nicht nach einer guten Maßnahme an".

In Technologie und Stromproduktion investieren

Besser wäre es, in Technologie und in die Stromproduktion zu investieren, meint der BCG-Experte, "und die Zinsen so erhöhen, dass man einen gesunden wirtschaftlichen Abschwung hat und gleichzeitig die Inflation bekämpft. Für mich ist die richtige Diskussion: Wie viel wirtschaftlichen Abschwung können wir uns leisten, um die Inflation zu bekämpfen?"

Dass die gestörten Lieferketten nur sehr langsam wieder ins Gleichgewicht kommen, liege an ihrer hohen Komplexität. "Wir arbeiten mit derart komplexen Systemen, wo die Teilnehmer sich oft gar nicht mehr kennen." Rufen nach Verstaatlichungen, weil der Markt versagt habe, kann Schnellbächer nichts abgewinnen. "Das könnte kein Staat organisieren. Ja wir haben diese Imbalancen, aber es funktioniert noch erstaunlich gut."

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