Ex-Politikerin Steßl steigt zur Top-Managerin auf: "Will nichts geschenkt"
Sonja Steßl, ehemalige SPÖ-Abgeordnete und Staatssekretärin, ist heute eine der Top-Managerinnen in der heimischen Finanzwirtschaft.
KURIER: Sie legen eine beachtliche Karriere hin – innerhalb von sieben Jahren von der SPÖ-Staatssekretärin zur Vize-Generaldirektorin der Wiener Städtischen. Wie erlebten Sie ihren Aufstieg?
Sonja Steßl: Ich habe 2016 als Gruppenleiterin der Kranken- und Unfallversicherung unterhalb des Vorstands begonnen. Mein Vorgänger war noch ein paar Monate da und so konnte eine optimale Übergabe erfolgen. Dann habe ich die Landesdirektion Steiermark mit 300 Mitarbeitern übernommen. Seit 2020 bin ich im Vorstand. Mein Credo war immer, „ich will nichts geschenkt haben, von nichts kommt nichts“, und ich habe immer versucht, die Komfortzone zu verlassen.
Warum haben Sie sich nach dem Wechsel von SPÖ-Chef Faymann zu Kern aus der Politik verabschiedet?
Ich hatte zwar noch mein Nationalratsmandat, doch ich habe mich immer mehr gefragt: Will ich mit 35 Jahren überhaupt noch in der Politik bleiben oder mache ich einen Schnitt? Gehe ich in die Wirtschaft und mache dort Karriere?
Sie haben offenbar einen starken Zug zum Tor.
Absolut.
Das geben nur wenige Menschen so unverblümt zu. Den meisten sind ihre Karrieren angeblich mehr oder weniger durch Zufall passiert. Man braucht sich nicht dafür zu genieren, dass man karriereorientiert ist. Ich motiviere Leute gerne und entwickle gerne weiter.
Wie sind Sie damals in die Wiener Städtische gekommen?
Ich habe noch als aktive Politikerin Signale ausgesendet, führte viele Gespräche und dann hat mir die Wiener Städtische ein attraktives Angebot gemacht. Es tat sich eine Türe auf, durch die ich gegangen bin. Ich war als Abgeordnete im Budgetausschuss und hatte immer eine starke Affinität zur Wirtschaft.
Wie war Ihr Anfang im Unternehmen? Galten Sie als politisches Protektionskind?
Jeder neue Mitarbeiter wird in einem Unternehmen beobachtet und es wird geschaut, wie ist der oder die. Außerhalb gab es in den sozialen Netzwerken schon erwartbare Kommentare. Es war mir wichtig, zu zeigen, welche Persönlichkeit ich bin, welche Erwartungshaltungen ich an das Team habe und wie ich gemeinsam mit dem Team arbeiten will. Das war eigentlich relativ unkompliziert. Die Wiener Städtische ist ein sehr soziales und werteorientiertes Unternehmen.
Ist es in Österreich grundsätzlich immer noch schwierig, aus der Politik in ein Unternehmen zu gehen? Ja, und in den letzten Jahren ist es noch deutlich schwieriger geworden. Das Image der Politiker wird nicht besser, sondern zunehmend schlechter, wenn man sich die Vertrauenswerte anschaut. Das finde ich so schade, denn der Austausch zwischen Wirtschaft und Politik und die Erfahrungen auf beiden Seiten würden unser Land weiter bringen.
Sollte das System nach beiden Seiten offener sein?
Ja, von der Politik in die Wirtschaft und vice versa.
Wie profitiert die Wirtschaft von der Politik?
Man lernt in der Politik sehr viel. Man kann Menschen einschätzen, ist es gewohnt, Krisen zu managen, heute ist ja schon fast täglich irgendwo eine Krise; man ist es gewohnt, klar zu kommunizieren. Politiker wechseln öfter die Ressorts und müssen sich sehr rasch mit anderen fachlichen Inhalten auseinandersetzen. Und sie müssen Verhandlungen führen. Ich sehe eine politische Tätigkeit als gutes Rüstzeug für die Wirtschaft. Ich habe als Staatssekretärin mit Beamten-Gewerkschafter Neugebauer Lohnrunden verhandelt, das war eine hervorragende Schule.
Wie sehen Sie die rein parteipolitisch motivierten Besetzungen, die leider auch noch immer gepflogen werden?
Das kann ich von außen nicht kommentieren.
Ein heimischer Top-Manager, der in die Politik ging, erzählte, dass er bald sehr enttäuscht war, weil er in der Politik nicht mehr anschaffen konnte wie in der Firma. In der Politik dauerte alles länger, sagte er.
Ich würde es anders formulieren. In der Politik spielen Emotionen und kurzfristige Überlegungen eine größere Rolle. In der Wirtschaft dominieren eher die Ratio und das Erreichen von mittel- und langfristigen Zielen. Wo will man mit dem gesamten Team für das Unternehmen hin? Außerdem steht man nicht so unter Dauerbeobachtung wie in der Politik und muss nicht ständig neue Schlagzeilen liefern.
Kommen wir zum Thema Frauen im Management. Der VIG-Konzern verliert demnächst die einzige Frau an der Spitze eines ATX-Unternehmens. Nicht gerade sehr frauenfreundlich, oder?
Im Vorstand der Wiener Städtischen sind 50 Prozent Frauen. In der zweiten und dritten Ebene liegt der Frauenanteil bei einem Drittel, das ist schon einzigartig in der österreichischen Finanzwirtschaft. Neben unserem Frauen-Netzwerk „Frida“, in dem Frauen gefördert werden, haben wir auch ein LGBTIQ-Netzwerk. Diversität ist uns sehr wichtig, wir haben viele Ethnien im Unternehmen und 40 Sprachen. Wir bilden unsere Kunden ab und wollen, dass sie sich besser betreut fühlen. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter deren Sprache beherrschen.
Wollen Sie den Frauenanteil weiter steigern?
Ich bin darauf bedacht, für jede Position die Idealbesetzung zu finden. Es ist wichtig, Frauen sichtbarer zu machen. Eine Frauenquote hat die Wiener Städtische nicht notwendig. Wir finden immer flexible Lösungen für jedes Lebensmodell und hatten vor 50 Jahren schon einen Betriebskindergarten. Vor allem im Vertrieb gibt es für Frauen flexible, sehr gute Jobs. Unsere Lehrlinge sind bereits zu mehr als 50 Prozent weiblich. Wir bilden jedes Jahr 150 Lehrlinge aus, damit sind wir die Nummer eins in der Branche.
Beginnen Mädchen bei der Berufswahl umzudenken?
Die Mädchen haben heute einen anderen Zugang zur Karriere, aber wir brauchen mehr Frauen, die in der Wirtschaft erfolgreich sind als Role Models.
Sind Sie noch SPÖ-Mitglied?
Ja, und ich habe auch abgestimmt.
Was sagen Sie zum Zustand der Partei?
Dazu sage ich nichts. Ich schätze es nicht, wenn Politiker a.D. Ratschläge in den Medien geben.
Zur Person
Die gebürtige Steirerin und Juristin, 42, startete bei der Forschungseinrichtung Joanneum Research, ging dann zur Efkon AG und ins NanoTecCenter. Sie war für die SPÖ im Nationalrat und Staatssekretärin im Bundeskanzleramt. 2016 Wechsel in die Wiener Städtische, ab 2020 im Vorstand und ab Juli 2023 stellvertretende Vorsitzende.
Konzern
Die Wiener Städtische ist die Kerngesellschaft des börsenotierten VIG-Konzerns (Vienna Insurance Group), Österreichs größter Versicherungsgruppe. 2023 Gewinn vor Steuern 220 Millionen Euro (plus 14 Prozent), Prämieneinnahmen 3,3 Milliarden.
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