Europa hat Afrikas Entwicklung völlig verschlafen
Seit 1982 hat der Wiener Managementberater Hans Stoisser Aufbau- und Infrastrukturprojekte in etlichen afrikanischen Ländern initiiert. Im KURIER-Interview erklärt er, warum er die bisherige Hilfspolitik der EU für ineffizient und "schizophren" hält.
KURIER: In welchem Jahr ist das österreichische Afrika-Bild stecken geblieben?
Hans Stoisser: 1984. Damals berichtete BBC über die Hungerkatastrophe in Äthiopien mit Hunderttausenden Toten. Die Bilder der Hungerbauchkinder gingen um die Welt.
Und das haben wir 2018 immer noch vor Augen?
Wenn wir Afrikaner in Schlauchbooten sehen, wirken die Bilder nach. Wir glauben, diese Menschen kommen nach Europa, weil alles schlechter wird. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt eine vernetzte, globale Gesellschaft und es können sich mehr Menschen die Reise leisten.
Welchen Anteil haben wir Medien an dem verzerrten Bild?
Wenn ein Journalist nach Afrika fährt, dann berichtet er entweder im Auftrag einer NGO, wie schlecht die Zustände sind. Oder für ein Reisebüro, wie superschön es ist. Die Realität dazwischen wird kaum wahrgenommen.
Sie sind seit 30 Jahren auf dem Kontinent unterwegs. Wie sieht das Afrika aus, das Sie erleben?
Armut existiert, aber sie geht zurück. Durch den Aufschwung entsteht eine Mittelschicht, die ihr Leben verbessern kann und will. Aus diesen 300 bis 400 Millionen Menschen werden in kurzer Zeit eine Milliarde werden. Diese unglaubliche Dynamik sollten wir ermöglichen und mitgestalten. Geopolitisch hat Europa das Spiel um die Vorbildfunktion bereits verloren. China hat uns den Rang abgelaufen.
Warum ist Europa so spät dran?
Wir haben nicht registriert, wie sehr die digitale Revolution Afrika verändert. Zudem ist aus der Entwicklungshilfe eine Industrie entstanden, die natürlich auch Eigeninteressen verfolgt und auf alten Mustern beharrt.
Wen meinen Sie da konkret?
Ich meine damit nicht nur private NGOs, sondern auch die staatliche Entwicklungshilfe. Daraus entstehen natürlich auch gute Projekte, aber es steckt ein falsches Anreizsystem dahinter. Das ist der Entwicklung in Afrika nicht förderlich, sondern hinderlich.
Sehen Sie ein Umdenken? Mehr Kooperation statt Almosen?
Genau darum geht es. Längerfristig funktionieren vor allem Wirtschaftsbeziehungen nachhaltig. Politik sollte den Rahmen schaffen. Offenbar will man unter dem Eindruck des Migrationsdrucks jetzt dorthin kommen.
Sind uns dabei die Chinesen nicht uneinholbar voraus?
Die Chinesen hatten in Afrika anfangs ein sehr negatives Image. Das hat sich rasch gewandelt, weil sie Infrastruktur geschaffen haben, etwa die Bahnlinien Dschibuti–Addis Abeba oder Mombasa–Nairobi. Das gerät jetzt wieder ins Kippen.
Als Kenias Präsident Uhuru Kenyatta im September vom Gipfel mit Xi Jinping zurückkam, schlug ihm eine Welle der Kritik entgegen. Man redet viel von der Schuldenfalle, weil alles mit Milliarden-Krediten finanziert ist. In Sambia gab es einen Aufschrei, als die Chinesen die Stromgesellschaft übernehmen wollten.
Die EU rühmt sich, der größte Geldgeber in Afrika zu sein und die großzügigsten Zollregeln zu gewähren. Was ist falsch dran?
Bisher hat die EU eine schizophrene Politik betrieben. Viele Milliarden Euro sind in die Entwicklungspolitik geflossen, die getan hat, als habe sie nur afrikanische Interessen im Auge. Zugleich schlossen andere Leute beinharte Handelsverträge ab.
Womöglich wurde so just jene lokale Hühnerindustrie gefördert, die wegen der europäischen Importe ohnehin keine Chance hatte.
Wie lässt sich das vermeiden?
Wir Europäer sollten aufhören, Afrikas Probleme lösen zu wollen. Das machen die Afrikaner schon selbst. „Co-creation“ ist das Zauberwort: Wir sollten Angebote für Partnerschaften machen – in unserem eigenen Interesse.
Wirtschaft gilt oft als böse, weil sie auf Gewinne abzielt. Dabei ist der Zweck jedes Unternehmens, einen Wert für die Kunden zu generieren. Somit steckt darin immer ein Entwicklungsaspekt.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Es gibt Solaranlagen, die armen ländlichen Haushalten erstmals Stromzugang ermöglichen. Diese Menschen zahlen über ihre Handy-SIM-Karte eine kleine monatliche Rate zurück, am Ende gehört ihnen die Anlage. Sie ersparen sich so viel Geld für Brennholz und Benzin.
In Ruanda gibt es Cargo-Drohnen, die Medikamente oder Blutkonserven in entlegene Gegenden fliegen.
Und man braucht kaum noch Bargeld – in vielen Ländern zahlt man mit M-Pesa, mit „mobile money“. Das Geld wird vom Handy-Guthaben abgebucht. Das funktioniert auf jedem Straßenmarkt.
Zur Person
Hans Stoisser ist Managementberater und Autor („Der schwarze Tiger. Was wir von Afrika lernen können“). Seine erste Afrikareise 1982 nach Kap Verde mündete in mehrere Jahre Aufbauarbeit für Gewerbebetriebe und Stadtinfrastruktur.
Es folgten Projekte in Simbabwe, Südafrika, Mosambik, Angola, Kenia, Uganda, Tansania und Äthiopien. Stoisser berät österreichische Firmen und organisiert Lernreisen, die nächste Ende Jänner ins "Silicon Savannah" nach Nairobi.
Am Rande des EU-Afrika-Gipfels am 18. 12. in Wien organisiert er eine Konferenz zu neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Afrika und Europa ("Disrupt Collaboration! – Africa and Europe in the Digital Age").
Kommentare