EU legt Regeln für europäischen Mindestlohn vor

Stahlarbeiter in Ostrava, Tschechien
Am bewährten Kollektivvertrags-System in Österreich wird aber nicht gerüttelt

Das Ziel lautet: Ein „angemessener Mindestlohn, der einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht“. Unter dieser Prämisse stellte die EU-Kommission in Brüssel gestern ihre monatelang ausgearbeitete Richtlinie für einen europäischen Mindestlohn vor. Anders als eine Empfehlung hat so eine Direktive verpflichtenden Charakter für die Mitgliedsstaaten.

Wobei Sozialkommissar Nicolas Schmit festhielt: „Wo es kollektivvertragliche Systeme gibt, wollen wir das System nicht ändern.“ Im Gegenteil: „Tarifverhandlungen sollten in allen Mitgliedstaaten der Goldstandard sein“, sagt der Sozialdemokrat aus Luxemburg.

In Österreich ist die kollektivvertragliche Abdeckung sehr hoch: Für 98 Prozent aller Arbeitnehmer legen die von den Sozialpartnern ausgehandelten Verträge fest, wie viel die Arbeitnehmer mindestens verdienen müssen. Auch in Dänemark, Italien, Zypern, Finnland und Schweden wird der Mindestlohn durch Kollektivverträge geschützt.

West-Ost-Lohngefälle

EU legt Regeln für europäischen Mindestlohn vor

EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit

In den 21 anderen EU-Staaten wird der Mindestlohn gesetzlich festgelegt. Dabei gibt es gewaltige Unterschiede: So etwa beträgt der Mindestlohn pro Stunde im reichen Luxemburg rund 12 Euro, jener in Bulgarien knapp zwei Euro.

Doch die Kommission hatte bei ihren Plänen, die von Industrie- und Wirtschaftsseite stets vehement kritisiert wurden, immer klargestellt: Es gehe nicht darum, einen einheitlichen Mindestlohn durchzusetzen, sondern einheitliche Standards.

„Fast zehn Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU leben in Armut – das müssen wir ändern“, sagt Schmit: „Mindestlöhne hinken anderen Löhnen, die in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, hinterher und müssen aufschließen.“

Anders als erwartet, gibt die Kommission nicht vor, dass der Mindestlohn in einem Land rund 60 Prozent des Durchschnittseinkommens betragen soll. Vielmehr werden Kriterien genannt, an denen er sich orientieren soll: Kaufkraft, Anstieg der Bruttolöhne, Produktivität.

Evelyn Regner, SPÖ-Europaabgeordnete, ist mit diesem Vorschlag der Kommission noch nicht zufrieden. Er gehe zwar in die richtige Richtung, „aber es gehört noch ordentlich nachgebessert. Ohne verbindliche Angabe werden keine höheren Löhne geschaffen.“

Skeptisch bis ablehnend sehen den Vorstoß die Arbeitgeberverbände: Die EU habe hier gar keine Kompetenz. Lohnfindung sei nationale Aufgabe.

Über den Vorschlag müssen nun die EU-Staaten und das Europaparlament beraten. Es könnte mehrere Jahre dauern, bis er in Kraft tritt.

Kommentare