Was Kollektivverträge alles regeln
Die türkis-blauen Koalitionsverhandler rütteln an der Pflichtmitgliedschaft bei Arbeiter- und Wirtschaftskammer. AK-Präsident Rudolf Kaske warnte am Donnerstag erneut vor einer Schwächung von Arbeitnehmerrechten und lehnte eine Volksabstimmung zu dieser Frage ab. Wenn, dann könnten nur die Mitglieder abstimmen, nicht auch Pensionisten oder Studenten. Kaske betonte, dass die Pflichtmitgliedschaft Basis für das bewährte System der Kollektivverträge sei. Dieses sichere nicht nur die Mindestgehälter bzw. -löhne und jährlichen Erhöhungen in den einzelnen Branchen, sondern viel mehr. Ein Überblick:
Sonderzahlungen Das Weihnachts- und Urlaubsgeld ist in Österreich nicht gesetzlich geregelt, sondern in den Kollektivverträgen (KV) verankert. Durch die hohe KV-Abdeckung von 98 Prozent kommen nahezu alle Arbeitnehmer in den Genuss der "schönen Bescherung" (Kaske), während es in Deutschland nur noch jeder Zweite ist.
Festtage Der 24. und 31. Dezember sind in den Kollektivverträgen mancher Branchen arbeitsfreie Tage, bei Friseuren (12 Uhr) und im Handel (14 Uhr) gilt Frühschluss.
Karenzzeit-Anrechnung Per Gesetz werden nur maximal zehn Monate für das erste Kind angerechnet. Dies gilt aber nur für die Kündigungsfrist, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaubsanspruch. Nur im jeweiligen KV sind die Anrechnungszeiten für Gehaltsvorrückungen geregelt. In der Metallindustrie etwa werden seit kurzem bis zu 22 Monate Karenz angerechnet, im Handel gilt dies mit dem neuen Gehaltsschema für Karenzen ab Dezember. "Das ist ein wichtiger Beitrag zum Schließen der Einkommensschere zwischen Frauen und Männern", sagt ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Anderl. Weitere KV sollen folgen.
Sonderregelungen Diverse Sonderregelungen wie Kündigungsmodalitäten, Bezahlung von Überstunden (All-in-Verträge), Zulagen, Prämien, Taggelder oder Freizeitansprüche etwa bei Übersiedelung oder Hochzeit regelt ebenfalls der KV.
Stabilität Von den insgesamt 860 Kollektivverträgen werden 480 jährlich von den Sozialpartnern neu verhandelt. Das sichere auch den Betrieben stabile Rahmenbedingungen, betont Kaske und verweist auf die in der EU höchste KV-Abdeckung von 98 Prozent. Diese hohe Abdeckung wäre ohne Pflichtmitgliedschaft nicht möglich.
Pflicht oder nicht?
Dass aber auch ohne Pflichtmitgliedschaft eine hohe Tarifabdeckung erreicht wird, zeigen Länder wie Frankreich oder Belgien (s. Grafik). Hier verhandeln freiwillige Arbeitgeberverbände mit Gewerkschaften über Tarife, die dann für die gesamte Branche gelten. Es wird aber viel weniger auf KV-Ebene geregelt als in Österreich. Eine bundesweite, gesetzliche Arbeiterkammer gibt es außer in Österreich nur in Luxemburg. Es ginge auch ohne, meint Kaske, "aber schlicht und einfach schlechter".
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