Pflegekräfte, Lkw-Fahrer, Supermarktverkäuferinnen – viele von ihnen mussten während der Corona-Krise teils bis ans Ende ihrer Kräfte zupacken, um Europa durch den Lockdown zu bringen.
„Aber statt Applaus und gut gemeinter Worte haben sich diese Beschäftigten europaweit eine bessere Bezahlung verdient“, fordert Evelyn Regner. Und so pocht die Abgeordnete zum EU-Parlament (SPÖ) erneut auf die Einführung eines europäischen Mindestlohns.
Einen weiteren Schritt in diese Richtung hat die EU-Kommission in Brüssel gestern gesetzt. Bereits zu Jahresbeginn hat die Behörde Konsultationen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abgehalten. Nach einer Zwischenbilanz werden die europäischen Sozialpartner nun bis September darüber beraten, ob sie selber einen Vorschlag für einen europäischen Mindestlohn ausarbeiten oder ob dies die Kommission übernehmen soll.
Worum geht es? Jedenfalls „nicht darum, dass ein bulgarischer Arbeiter den Mindestlohn in gleicher Höhe wie jemand in Luxemburg erhalten soll“, sagt Regner. Und die Kommission könne auch nicht verordnen, welches Land wie viel Euro pro Arbeitsstunde zu bezahlen habe. Ziel sei vielmehr, so Regner, „ein Instrument zu schaffen, das sicherstellt, dass jeder Arbeitnehmer in seinem Land einen gerechten Lohn erhält“.
Dabei könnten die Unterschiede in der EU derzeit kaum größer sein. In Bulgarien etwa liegt der gesetzliche Mindestlohn bei unter zwei Euro die Stunde. In Luxemburg, wo der höchste Mindestlohn ausbezahlt wird, ist er rund sechs Mal so hoch. Der Vorschlag der Gewerkschaften läuft auf einen Medianwert hinaus: Im jeweiligen EU-Staat solle die Lohnuntergrenze mindestens 60 Prozent des dortigen Durchschnittslohnes betragen.
Skepsis von mehreren Seiten
Grundsätzliche Skepsis kommt aber nicht nur von Arbeitgeberverbänden, sondern auch von den nordischen EU-Staaten sowie von den Sozialpartnern in Österreich. Hierzulande, ebenso wie in fünf anderen EU-Staaten, gibt es keinen gesetzlichen Mindestlohn.
Kollektivverträge der einzelnen Branchen legen fest, wie viel die Arbeitnehmer mindestens verdienen müssen. Die Befürchtung: Eine europaweite Mindestlohnregelung würde das existierende, gut funktionierende System untergraben.
„Kollektivverträge sollen immer Vorrang haben“, sagt Regner, „durch sie sind Mindestlöhne immer am besten gesichert.“ Und dennoch wäre es für Österreich wichtig, führt die EU-Abgeordnete weiter aus, "dass es so ein Rechtsinstrument wie den europäischen Mindestlohn gibt". Das würde den Druck auf das Sozialsystem in Österreich lindern und Lohndumping bremsen. Wenn die extremen Lohnunterschiede zu Osteuropa geringer würden, "lässt sich auch unser gutes System besser halten und schützen", sagt Regner.
Und diese Praxis werde auch nicht angetastet, verspricht EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit. Der Sozialdemokrat aus Luxemburg beruhigt: „Wir werden unter keinen Umständen erzwingen, dass diese Länder ihre alten und gut etablierten Traditionen ändern müssen.“
Die Vorbereitungen in Richtung eines europäischen Mindestlohns sieht Schmit auch ein wesentliches Element der EU-Wiederaufbaustrategie nach der Coronakrise. "Einer von sechs Arbeitern in Europa ist im Niedriglohn-Sektor tätig", sagte er am Mittwoch, "und die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Sie haben unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft am Leben gehalten, während alles andere stoppen musste. Und paradoxerweise werden sie von der Krise am härtesten getroffen."
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