Europawahlen vor der Tür, die Bauern auf den Straßen: Es musste schnell gehen, in der EU-Zentrale. Innerhalb weniger Wochen sind Grundregeln der gemeinsamen Agrarpolitik GAP außer Kraft gesetzt worden.
Ein Mindestanteil von nicht bewirtschaftetem Brachland in jeder Landwirtschaft, Anbau von Zwischenfrüchten, um den Boden zu schonen, Erhalt von Ackerrainen und Wiesen: Was in den vergangenen Jahren Vorschrift für Europas Bauern war, soll in Zukunft nur noch eine freiwillige Übereinkunft sein, die bei Einhaltung mit weiteren Förderungen belohnt wird.
Kontrollen von Umweltschutz-Vorschriften soll es für kleine Landwirtschaften mit einer Fläche von weniger als zehn Hektar gar nicht mehr geben, für die Großen nur noch seltener.
In der Vorwoche hat das EU-Parlament die Reform mit klarer Mehrheit durchgewunken, an diesem Montag geben noch die EU-Agrarminister ihren Segen. Das Urteil über die doch sehr grundsätzliche Kehrtwende in der Agrarpolitik fällt zwiespältig aus. Für Umweltschutzorganisationen und Klimaaktivisten untergräbt die EU ihre eigenen Klimaschutz-Ziele, schließlich sei die Landwirtschaft für ein Drittel der Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich.
EU-Agrarpolitiker wie der deutsche CDU-Abgeordnete Norbert Lins begrüßen dagegen die Erleichterung für die Bauern. Das alles komme vor allem den kleinen Betrieben zugute, betont Lins gegenüber dem KURIER: „Das Pflügen nach dem Kalender der EU ist jetzt einmal Geschichte“. Die allzu strengen Regeln der EU-Agrarpolitik hätten sich in der Praxis nicht bewährt. Jetzt gäbe es wieder „mehr Flexibilität für die Bauern. Und was den Umweltschutz anbelangt: „Wir müssen den Artenschutz und die ausreichende Produktion von Lebensmitteln kombinieren.“
55 Milliarden: aus dem EU-Budget fließen jährlich in die Landwirtschaft: Der größte Einzelposten im EU-Budget.
4 Prozent: ihrer Anbaufläche sollten die EU-Bauern als Brachland ungenützt lassen. Diese Regelung ist jetzt aufgehoben.
80 Prozent: der heimischen Bauern nehmen an nationalen Umweltprogrammen mit Förderungen teil.
„Kurzfristig gedacht“
Für den österreichischen Grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz ist das kurzfristiges Denken, das vor allem der Agrarindustrie zugute kommt: „Wenn wir unsere Lebensmittelversorgung langfristig sichern wollen, geht das nur, wenn wir aufhören , die Natur und die Böden rücksichtslos auszubeuten. Was da jetzt im Eiltempo abgeschafft wurde, waren ohnehin Kompromisse.“
Österreichs Bauern übertreffen EU-Vorschriften
Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat - ebenso wie die ÖVP-Vertreter im EU-Parlament - die Lockerung der Vorschriften begrüßt. Was aber die grundsätzliche Ausrichtung der heimischen Landwirtschaft betrifft, gibt man sich in Wien betont zurückhaltend und umweltbewusst. 80 Prozent der heimischen Bauern würden an Umweltprogrammen teilnehmen, die weit mehr an Naturschutz beinhalten, als es die EU bisher vorgeschrieben habe. Vier Prozent an geschützter Fläche in jeder Landwirtschaft habe die EU verlangt, in Österreich seien das ohnehin durchschnittlich zehn Prozent.
Bauern, die umweltfreundlich wirtschaften, würden besonders von nationalen Förderprogrammen profitieren. Ein Grund mehr für Österreich, sich für mehr Umweltschutz in Europa zu engagieren, meint Waitz: „Warum treten wir politisch nicht stärker für die Prinzipien ein, die viele der Bauern ohnehin praktizieren? Nützen wir doch unsere Vorreiterrolle besser.“
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