Erste-Group-Chef Cernko: „Inflation ist etwas klebriger als erhofft“

Erste-Group-Chef Cernko:  „Inflation ist etwas klebriger als erhofft“
Der scheidende Vorstandschef Willi Cernko über die Gefahr einer pendelnden Inflation, sinkende Leitzinsen und zu viel Föderalismus beim Wohnbaupaket.

Ende Juni übergibt Willi Cernko die Führung der Erste Group an Peter Bosek. Im Abschiedsinterview verrät der Noch-Vorstandschef, was er von der Zinsentscheidung der EZB hält, warum eine pendelnde Inflation Gift für die Wirtschaft ist und das Wohnbaupaket im Föderalismus versickern könnte. 

KURIER: Die EZB hat erstmals nach langer Zeit die Zinsen wieder gesenkt. Eine richtige Entscheidung?

Willi Cernko: Die Erwartungshaltung ist, dass sich die Zinsen wieder schrittweise nach unten entwickeln. Es muss die Entscheidung aber auch Zahlen- und faktenbasiert sein. Obwohl ich mir wünsche, dass zügig weitere Zinssenkungsschritte kommen, habe ich absolutes Verständnis, dass man das Tempo der Zinssenkung an die Möglichkeiten anpassen muss. Es gibt eine klare Aufgabenstellung der EZB und das ist Preisstabilität. Und die ist mit einer Inflationsrate von nicht mehr als 2 Prozent definiert. Und so lange das nicht in einer verlässlichen Spur läuft, solange wird man mit Zinssenkungen sehr vorsichtig sein, um nicht gegenläufige Effekte zu erzielen. Was wir nicht brauchen, ist eine permanente Pendelbewegung. Das wäre für die Wirtschaft das größte Gift.

Die Inflation ist im Euroraum aber mit 2,6 Prozent doch noch ein Stück vom Ziel entfernt. War man da von den eigenen Ankündigungen getrieben?

Natürlich wurde im Vorfeld eine gewisse Erwartungshaltung geweckt und auch positive Signale gesendet. Auf der anderen Seite, um mit den Worten von OeNB-Gouverneur Holzmann zu sprechen, die Inflation ist offensichtlich etwas klebriger als erhofft. Mit einem Pendeln zwischen 2 und 3 Prozent ist man nicht verlässlich unter 2 Prozent. Das muss man erreichen. Vielleicht müssen wir einfach ein Stück weiter geduldiger sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in den nächsten Quartalen weitere positive Entwicklungen sehen werden. Aber es geht langsamer als wir uns alle erhofft haben.

Also hatte Holzmann mit seiner Gegenstimme im EZB-Rat recht?

Ich erlaube mir da kein Urteil. In Summe hat das Kollegium eine kluge Entscheidung getroffen.

Wieso ist die Inflation in Österreich noch hartnäckiger?

Das hängt vor allem mit der hohen Bedeutung des Dienstleistungssektors zusammen. Es ist ein Faktum, dass neben den Energie- insbesondere die Personalkosten total durchschlagen. Bei allem Verständnis für einen Inflationsausgleich bei den Lohnkosten, wird das in einer Dienstleistungsgesellschaft noch einmal schwieriger.

Hat die Regierung mit ihren Förderungen die Entwicklung nicht noch befeuert?

In der Rückschau kann man historisch vielleicht feststellen, dass man dies oder jenes hätte machen müssen. Dieser Debatte möchte ich mich aber nicht anschließen. Mit einer Ausnahme, und zwar dem Wohnbaupaket. Es zeigt, wie schwierig es ist, in einem Land, in dem Föderalismus großgeschrieben wird, bei einer Idee an einem Strang zu ziehen. Das Paket bedeutet einen großen Impuls für die Bauwirtschaft und treibt leistbares Wohnen und Eigentum voran. Das Paket fußt aber in einer vielfältigen Zuständigkeit und liegt über weite Strecken in Länderkompetenz. Jedes Bundesland hat seine eigenen Spielregeln. Die Mittel sollten aber zügig und akkordiert eingesetzt werden, um zu wirken. Wir dürfen uns nicht in Details verlieren. Da ist viel Verbesserungsbedarf.

Kommen wir noch einmal zurück zu den Zinsen. Wieso haben viele Kunden den Eindruck, dass Zinsänderungen mit Verzögerung zum Vorteil der Banken weitergegeben werden?

Das ist eine gut gepflegte Legende. Wir schließen bei den Zinsen dort an, wo wir 2014/15 aufgehört haben. Wir kehren zu einer gewissen Normalität zurück. Wir haben Jahre im Brot- und Buttergeschäft hinter uns, in denen nicht viel Staat zu machen war. Für einen Banker wie mich waren ein jahrelanges Nullzinsenniveau oder Negativzinsen unvorstellbar. Auch das jetzige Zinsniveau ist kein Ausreißer. Was den Unterschied macht, ist die Rasanz, wie das Zinsniveau innerhalb eines Jahres gestiegen war. Die Geschwindigkeit hat Haushalte und Unternehmen überrascht. Dass Marktteilnehmer nicht sofort darauf reagieren, ist ein ganz normales Verhalten.

Erste-Group-Chef Cernko:  „Inflation ist etwas klebriger als erhofft“

Apropos rasch steigende Zinsen: Das hat ja vor allem die Immobilienbranche getroffen und hier mit Signa einen großen heimischen Konzern. Wie konnte das 15 Jahre nach der großen Immokrise wieder passieren?

Es ist gelungen, eine Geschichte zu erzählen, die am Anfang mit vielen konkreten erfolgreichen Beispielen hinterlegt war. Das hat letztlich dazu geführt, dass selbst tiefste Kenner des Marktes überzeugt waren, dass dieses Geschäftsmodell unfehlbar ist. Investoren haben möglicherweise immer mehr begonnen, immer weniger zu hinterfragen. Und dann bricht ein Stein aus der Mauer und alles kollabiert. Wir haben uns als Erste strikt an unsere Spielregeln gehalten und unsere Betroffenheit in der Causa ist extrem limitiert.

Könnte eine Immo-Krise wie 2008 noch einmal passieren?

Die Voraussetzungen sind ganz andere. Eine unvergleichbar höhere Transparenz wurde etabliert, die Banken sind viel besser kapitalisiert. Vor Lehman bestand die Vorstellung, dass die Risken so breit gestreut sind, dass es nirgendwo zu einer Konzentration von Risiken kommt. Wir alle haben aufgeräumt mit dieser Idee.

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Banker-Laufbahn

Der 1956 in der Steiermark geborene Willibald Cernko begann seine Karriere bei Raiffeisen, ehe er 1985 nach Wien zur CA wechselte. 2003 wurde er in der fusionierten BA CA in den Vorstand berufen, wo er 2009 bis 2016 Vorstandschef war. 

2017 wechselte er als Risikovorstand in die Erste Group, wo er 2022  Nachfolger von Bernhard Spalt als Vorstandschef wurde. Diesen Posten übergibt er mit Juli an Peter Bosek. Cernko bleibt  bis Jahresende für die Erste beratend tätig. Die Erste Group beschäftigt als einer der größten Finanzdienstleister Zentral- und Osteuropas 45.000 Mitarbeiter in 7 Ländern und betreut 16,4   Millionen Kunden 

Kommen wir noch auf Ihre langjährige Karriere zu sprechen: Sie waren lange in der Creditanstalt tätig. Wie haben Sie damals als CAler die Übernahme durch die Bank Austria erlebt?

Man muss den damals Verantwortlichen unter Führung von Gerhard Randa zugestehen, dass schon sehr genau geschaut wurde, dass best of both worlds auch umgesetzt wird. Es sind Manager der CA zum Zug gekommen, aber auch das IT-System. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Übernehmer ganz massiv auf die Ressourcen des Übernommenen zurückgreift. Ich halte das für eine große strategische Leistung. Es ist gelungen, den großen Kern der CA zu integrieren.

Und später wurde die BA-CA dann selbst von der Münchner HVB übernommen.

Das hatte eine Vorgeschichte wegen der Russlandkrise. Da hat die BA-CA ordentlich eine auf die Mütze bekommen. Damals haben die politisch Verantwortlichen vereinbart, dieses rasch wachsende Unternehmen zu privatisieren. Sie konnten das Risiko nicht mehr tragen. Das war eine extrem kluge Entscheidung. Es hat zwei Interessenten gegeben, die HVB und die UniCredit. Später hat die HVB selbst Probleme bekommen und wurde von der UniCredit übernommen. Unterm Strich sind einige sehr kluge Entscheidungen getroffen worden, die sich nicht zum Nachteil Österreichs entwickelt haben.

Die Erste oder die RBI haben es aber auch eigenständig geschafft. . .

Ein Börsegang wurde nicht in Erwägung gezogen – im Gegensatz zur Ersten. Das war ein ganz großer Verdienst von Andreas Treichl. Respekt vor dem Spagat zwischen einer in Osteuropa tätigen Bank und einem tief in den Regionen verwurzelten Sparkassensektor.

Sie werden mit 1. Juli von Peter Bosek abgelöst. Werden Sie der Bank in irgendeiner Form erhalten bleiben?

Einer meiner Aufgaben war es, nach dem Abgang von Bernd Spalt Ruhe hereinzubringen, den Zug zum Tor zu entwickeln und eine positive Grundstimmung zu verbreiten. Und wir haben gute Ergebnisse erzielt und uns weiter verbessert. Ich werde sicher der Erste Group verbunden bleiben, aber nicht in einer ausführenden, sondern in einer beratenden Rolle.

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