EMA-Chefmediziner: "Es spricht viel für Wien"
Die EMA hätte jeder gerne. 23 Länder, darunter Österreich, buhlen um den neuen Sitz der mächtigen EU-Arzneimittelagentur, die wegen des Brexit aus London weg muss. Die Standort-Entscheidung soll im Oktober fallen, die Übersiedelung bis März 2019 vollzogen werden. Unter den 900 EMA-Beschäftigten sind auch 16 Österreicher. Einer davon ist der Wiener Hans-Georg Eichler, der als leitender Mediziner die Agentur in wissenschaftlichen Fragen nach außen vertritt.
KURIER: Sind Sie schon in Aufbruchstimmung?
Hans-Georg Eichler: Nicht physisch, aber allen hier ist klar, dass sich etwas verändert. Wir bereiten uns auf eine Reise vor, wissen aber nicht, wann sie los geht, wo sie hingeht und was uns dort erwartet. Trotzdem müssen wir uns vorbereiten und haben schon eine Taskforce für die Übersiedelung gebildet.
Bedauern Sie persönlich den Wegzug aus London?
Ja, sehr. London ist eine Metropole, die viel zu bieten hat. Viele hier sind enttäuscht, dass sie weg müssen.
Sie könnten vielleicht wieder in Ihre Heimatstadt zurückkommen. Wie beurteilen Sie die Chancen für Wien als neuer EMA-Standort?
Das wäre jetzt reine Spekulation, die Entscheidung trifft ja der EU-Rat im Herbst und es haben sich 23 Länder beworben.
Was spricht für Wien, was gegen Wien?
Es spricht viel für Wien, die zentrale Lage etwa, die internationalen Organisationen und vieles mehr. Ein K.O.-Argument gegen Wien ist mir nicht bekannt, aber Europa hat viele gute Standorte. Das wird letztlich eine politische Entscheidung.
Ist die EMA in die Entscheidung eingebunden?
Nein, wir haben nur gesagt, was wir an Infrastruktur oder Logistik brauchen. Sehr wichtig ist die Flughafenanbindung, weil wir jede Woche 700 Besucher haben, das füllt ganze Flugzeuge. Wichtig sind auch Hotelbetten, Schulungsräume und gute Infrastruktur für unsere komplexe IT. Die EMA ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, wir sind daher sehr begehrt.
Bei einer Umfrage unter EMA-Mitarbeitern zählte Wien angeblich zu den Top-Favoriten. Stimmt das?
Naja, da haben wir gar nicht nach Städten gefragt, sondern nach Ländern. Wir wollten wissen, wer bei einer Übersiedelung mitgehen wird und wer nicht. Intern rechnen wir, dass zwischen 50 und 80 Prozent des Personals mitübersiedeln werden, aber das ist Spekulation.
Welche Stadt ist Ihr Favorit?
Ich bin da ganz neutral. Wir alle hoffen, dass es nicht nur eine rein politische, sondern eine rationale Entscheidung wird. Wir wollen dort hingehen, wo wir vernünftig arbeiten können.
Gebe es bei der EMA auch Chancen für Österreicher?
Natürlich, unsere Stellen stehen allen EU-Bürgern offen. In Wien würden sich natürlich mehr Österreicher bewerben, das ist durchaus möglich.
Die EMA entscheidet darüber, ob Medikamente in der EU verkauft werden dürfen. Wie viele Zulassungen gibt es pro Jahr?
Im Vorjahr wurden 81 Substanzen neu zugelassen, 2015 waren es 93. Das Gros unserer Aufgaben ist aber nicht die Neuzulassung, sondern die Pflege der bereits vorhandenen Arzneien. Wir bekommen ständig neue Infos über Sicherheit, Nebenwirkungen, neue Anwendungsgebiete, Wirksamkeit etc., sodass jedes dieser Produkte neu gepflegt werden muss.
Die Abgrenzung zwischen EMA und nationalen Zulassungsbehörden ist für Außenstehende nicht ganz klar. Wer ist wofür zuständig?
Das ist sehr komplex, weil es es ja schon viele zugelassene Medikamente vor der Gründung der EMA 1995 gab. Man greift nach wie vor zurück auf bestehende Ressourcen in den Ländern. Im Prinzip gilt: Die Vorarbeit bezüglich Neuzulassung erfolgt dezentral in Komitees, die Entscheidung dann zentral in London.
Was genau findet überhaupt bei der EMA in London statt?
Es ist der Ort, an dem sich alle Komitees treffen und das Sekretariat ist auch hier. Die gesamte Arbeit wird hier koordiniert. Es ist wie ein Speichenrad, das in der Mitte eine Nabe hat und rund herum Speichen.
Hat die EMA Einfluss auf die Medikamentenpreise in der EU?
Nein. Die Zulassung basiert rein auf der Nutzen-Risiko-Abwägung und nicht auf ökonomische Überlegungen, also Preisvorstellungen. Wir entscheiden rein über die Zulassung.
Auch die Rezeptpflicht ist ländermäßig unterschiedlich, so gibt es in Deutschland viel mehr rezeptfreie Medikamente als in Österreich. Gibt da die EMA Empfehlungen?
Die unterschiedliche Rezeptpflicht hat historische Gründe, es sind jene Produkte, die vor der EMA-Gründung zugelassen wurden. Für neue Produkte ist die EMA zuständig und empfiehlt die Rezeptfreiheit oder nicht.
Die EMA wird zu 86 Prozent von der Pharmaindustrie finanziert. Gibt es da nicht permanent Interessenskonflikte?
Es stimmt, der größte Teil unseres Budgets kommt aus User-Fees (Gebühren, Anm.) für die Zulassungsanträge. Das ist eine normale Vergebührung und natürlich keine erfolgsabhängige Prämie. Das ist also kein Interessenskonflikt.
Manche Entscheidungsträger waren aber früher bei Pharmafirmen tätig, das sorgt immer wieder für Kritik. . .
Wir haben eine sehr strenge Regelung bezüglich Interessenskonflikte, die soeben noch einmal verschärft wurden. Es gibt zwar Mitarbeiter, die früher in der Industrie gearbeitet haben, aber wir haben auch hier ein klares Prozedere zur Vermeidung von Interessenskonflikten.
EMA-Chef Rasi fürchtet, dass der Austrittsprozess der Briten die Arbeit der EMA beeinträchtigen wird und Arzneien mit Verspätung zugelassen werden könnten. Wie sehen Sie das?
Das ist sicherlich eine Sorge. Die Briten machen fast 20 Prozent der Gesamtarbeit bei der EMA, das fällt jetzt weg. Diese Arbeit muss auf die anderen Mitgliedsstaaten neu verteilt werden. Es gibt mehrere Länder, die sich da ins Zeug legen und diese Arbeit übernehmen wollen. Bis zur Trennung von London im März 2019 muss es uns gelingen, dass es zu keinen Verzögerungen bei der Zulassung kommt. Auch die Qualität der Arbeit muss erhalten bleiben.
Den Jahresbericht der EMA finden Sie hier
Arzneimittelagentur
Die 1995 gegründete europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency) ist für die Beurteilung und Überwachung aller Arzneimittel innerhalb der EU zuständig. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Arzneimittel-Zulassung oder bei der Beurteilung von Gesundheitsrisiken. Die EMA ist mit 900 Beschäftigten die zweitgrößte EU-Agentur.
Hans-Georg Eichler
Der Wiener (61) ist seit zehn Jahren bei der EMA als Senior Medical Officer (leitender Mediziner) beschäftigt. Er vertritt die Agentur in wissenschaftlichen Fragen nach außen und wirkt bei strategischen Aufgaben mit. Zuvor war er 15 Jahre lang an der Med-Uni Wien tätig, zuletzt als Vize-Rektor.
Österreich hat sich im April offiziell um die EU-Arzneimittelagentur EMA beworben und Wien als Standort vorgeschlagen. Die zerstrittene Regierung ziehe dabei aber nicht an einem Strang und gefährde so die Bewerbung, kritisieren die Neos. Der Grund: Das Finanzministerium hätte auch gerne die Europäische Bankenaufsicht (EBA) von London nach Wien gelotst und behandelt die vom Gesundheitsministerium forcierte EMA-Bewerbung nachlässig.
"Dass die EBA in Frankfurt bei der EZB landen wird, ist aber so gut wie fix“, meint Neos-Abgeordneter Gerald Loacker. ÖVP und SPÖ sollten sich daher voll auf das gemeinsame Ziel EMA konzentrieren. Die Konkurrenz hier sei groß, umso wichtiger ein geeintes Auftreten. „Am Ende wird weder die EMA noch die EBA in Österreich landen, weil die Österreicher unfähig sind, an einem Strang zu ziehen“.
Wertschöpfung
Laut Berechnungen der Wirtschaftskammer würde eine Ansiedelung der EMA jährlich rund 133 Mio. Euro an zusätzlicher Wertschöpfung nach Wien bringen. Als neues Zentrum der Biotech- und Pharmaindustrie Europas könnten internationale Firmen angelockt werden. Nachteil bei der Bewerbung: Im Unterschied zu anderen Städten beherbergt Wien bereits eine EU-Agentur: Die EU-Grundrechteagentur.
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