Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher
Es sind momentan keine guten Nachrichten, die uns von den Börsen erreichen. „Tiefrote Halbjahresbilanz an Europas Leitbörsen“, heißt es da etwa, und auch in Übersee sieht es nicht viel besser aus: „Schwärzestes Börsen-Halbjahr seit Jahrzehnten in den USA“ lautet dort die Headline. Kein Wunder: Krieg, Inflation, Rezessionsangst, Lieferkettenprobleme.
„Mix ist Katastrophe“
„Der aktuelle Mix ist natürlich eine Katastrophe“, fasst Friedrich Mostböck, Leiter Group Research bei der Erste Group, zusammen. Momentan gibt es daher „viel Unsicherheit“, so Mostböck. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis im ATX liegt aktuell bei 7. „Vieles an Revisionen in negativer Hinsicht ist hier also hineingeflossen“, sagt Mostböck. „So gesehen ist vieles wahrscheinlich schon vorweggenommen.“ Er rechnet mit einer Umkehr – nur wann, ist fraglich. Nach wie vor befinden sich die europäischen Leitbörsen in einer Abwärtsphase.
„Aber wenn eine Stabilisierung eintritt, könnte es sein, dass wir zehn bis zwölf Prozent aufholen.“ Nachdem der ATX aber seit Jahresbeginn gut 25 Prozent verloren hat, der DAX und der EuroStoxx beide jeweils um die 20 Prozent, kann von einer kompletten Erholung in so einem Fall keine Rede sein.
Zwei Überschriften
Die aktuelle Situation an den Börsen stehe unter zwei Überschriften, so Monika Rosen, Börsenexpertin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft. Herausragend sei mit Blick auf die Historie vor allem, dass es das erste Halbjahr war, das so schlecht gelaufen ist. „Es gab ja schon öfter schlechte Quartale, aber die größeren Einbrüche kamen meistens im Spätsommer bzw. Herbst.“ Gerade zu Jahresbeginn werde neues Geld veranlagt, die ersten Monate sind daher normalerweise „keine schlechten für die Börse“.
Wie es jetzt weitergehen wird, das ist die große Unbekannte. „Die Frage für das zweite Halbjahr lautet – was ist die größere Bedrohung, die Rezession oder die Inflation? Es beginnen sich die Stimmen zu mehren, die sagen, es ist die Rezession.“ Denn: Die Zinsanhebungen werden wohl ihre Wirkung zeigen, hohe Energiepreise würden die Nachfrage dämpfen, so Rosen. Das bedingt eine wirtschaftliche Abkühlung – möglicherweise eine Rezession.
Zinssenkung?
Dabei gebe es bereits Analystinnen und Analysten, die spekulieren, wann es zu einer Zinssenkung in Amerika kommen kann. „Manche sagen, heuer noch“, so Rosen. „Es werden mehr, die sagen, die Kampagne der Notenbanken, vor allem in Amerika, wird Erfolg haben. Dass der Markt die Zinsanhebungen überschätzt, und es eher zu einer Gegenbewegung bzw. einer Senkung kommt.“
Und die Rezession? „Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in Amerika technisch gesehen schon in einer Rezession sind“, sagt Rosen – immerhin lag die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal bei minus 1,6 Prozent, im zweiten könnten es minus ein Prozent sein – zwei aufeinanderfolgende Quartale im Minus seien eben die Definition einer Rezession. Dieses Abtauchen in Amerika werde aber wohl nicht tief und nicht lang sein, schätzt Rosen – im Gegensatz zu Europa. „Hier gibt es den Risikofaktor Gas. Und natürlich ist der Wirtschaftsraum heterogener, die EZB agiert viel langsamer.“
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