Drei Milliarden Schaden: Wirecard-Prozess in München gestartet
In München hat am Donnerstag der Prozess im wohl größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen. Für das Wirecard-Verfahren wurden 100 Prozesstage bis ins Jahr 2024 hinein reserviert. Drei Ex-Manager sind angeklagt, darunter der frühere Vorstandschef Markus Braun. Er sitzt seit Sommer 2020 in U-Haft.
Eine mutmaßlich zentrale Figur des Milliardenbetrugs ist jedoch weiterhin flüchtig: Der Österreicher Jan Marsalek. Er war der Vertriebschef des damaligen börsennotierten Konzerns. Es wird immer wieder vermutet, dass er in Moskau untergetaucht ist.
Für den ersten Tag war im Wesentlichen die Verlesung der 89-seitigen Kurzversion der Anklage eingeplant. Das allein sollte fünf Stunden in Anspruch nehmen. Und absehbar waren schon vor Prozessbeginn einander widersprechende Aussagen der Angeklagten: Ex-Vorstandschef Braun weist die Vorwürfe rund um die Scheingeschäfte zum Schaden der kreditgebenden Banken seit Anfang an zurück.
Kronzeuge packt aus
Oliver Bellenhaus hingegen, der mitangeklagte frühere Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft in Dubai, dient der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge. Wie bereits im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags angekündigt, will Bellenhaus laut Verteidigung „kooperativ aussagen“ und sich seiner Verantwortung stellen. Auch Bellenhaus sitzt in Untersuchungshaft.
Der dritte Angeklagte ist der frühere Chefbuchhalter des Wirecard-Konzerns. Er wird im Münchner Gerichtssaal voraussichtlich die Aussage verweigern.
Die Staatsanwaltschaft wirft Braun und seinen beiden Mitangeklagten vor, eine kriminelle Bande gebildet, die Konzernbilanzen seit 2015 systematisch gefälscht und so die Kreditgeber um 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben.
Der mittlerweile abgewickelte Zahlungsdienstleister rechnete an der Schnittstelle zwischen Kreditkartenfirmen auf der einen sowie Einzelhändlern und sonstigen Verkäufern auf der anderen Seite elektronische Zahlungen ab und kassierte dafür Gebühren.
Laut Anklage schrieb der Konzern aber Verluste. Um das zu kaschieren, soll die Wirecard-Bande ein nicht existentes „Drittpartnergeschäft“ der Dubaier Tochter in Milliardenhöhe samt Scheingewinnen erfunden haben.
Braun bestreitet das weiterhin und weist die Anklage auch in einer neuen Stellungnahme zurück. Dabei wirft Braun den Ermittlern indirekt mangelnde Sorgfalt vor.
Skandal aufgedeckt
Nachdem die Financial Times jahrelang über Ungereimtheiten in den Bilanzen berichtet hatte, räumte das Unternehmen ein, dass 1,9 Mrd. Euro nicht auffindbar waren, es folgte im Juni 2020 die Insolvenz. Die Erlöse des Drittpartnergeschäfts waren angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht. Das Geld wird bis heute vermisst.
Braun stellt dies anders dar: Er argumentiert, dass die auf den Treuhandkonten verbuchten Gelder sehr wohl existierten, aber veruntreut worden seien. Er beschuldigt seinen Mitangeklagten Bellenhaus, den ehemaligen Geschäftsführer in Dubai.
Zahlungsflüsse an Firmen in Hongkong, Antigua, Singapur, British Virgin Islands und sonstige Schattengesellschaften seien belegt, sagt Braun. „Die Zahlungsflüsse an diese Veruntreuungsgesellschaften wurden bis heute nicht nachverfolgt“, heißt es jedoch in seiner Stellungnahme; darin steckt der Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe nicht genau genug ermittelt. „Dr. Markus Braun war in die Machenschaften, die ausschließlich der Veruntreuung von Geldern der Wirecard AG dienten, nicht involviert und hatte hiervon auch keine Kenntnis.“
Somit müssen der Vorsitzende Richter Markus Födisch und die Kammer klären, ob Braun Betrüger oder Betrogener war. Die Staatsanwaltschaft widerspricht natürlich den Vorwürfen mangelnder Sorgfalt.
Verhandelt wird in einem bunkerähnlichen unterirdischen Sitzungssaal neben der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Die vollständige Anklage ist 474 Seiten lang, die Akten füllen 700 Bände.
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