Großer Unterschied
Wenn die Nachfrage aus dem Ausland nachlässt und die Lieferketten bröckeln, stürzt der Außenhandel ab. Der große Unterschied zu Österreich: In der rot-weiß-roten Wirtschaftsstruktur spielen die Klein- und Mittelbetriebe die Hauptrolle. In Schweden sind es Großkonzerne wie Ericsson, Scania, AstraZeneca, Volvo oder Ikea (auch wenn die Zentrale und Produktionsstätten längst nicht mehr in Schweden sind).
Diese Riesen spüren den Abschwung massiv und brauchen lange, um aus Krisen herauszukommen. „Einen Tanker dreht man nicht so schnell um“, sagt Zimburg. „Die vielen Segelboote in Österreich mögen zwar windanfälliger sein, sie können dafür aber viel rascher reagieren.“ Er glaubt, dass Österreichs Wirtschaft schneller aus der Krise hinaussteuern kann.
Nach einer katastrophalen Bankenkrise Anfang der 1990er und der danach erfolgten Sanierung des Haushaltes steht Schweden mit 43 Prozent Staatsschulden blitzsauber da. Das bietet einen guten Polster. Retten um jeden Preis gilt in Schweden allerdings selbst in der Corona-Pandemie als tabu.
Hier hat man vor Jahren die Lehren aus dem Fiasko der Werften gezogen, die – trotz Milliardenbeihilfen – pleite gingen. Starke Gewerkschaften, aber kaum Kündigungsschutz. Ein wärmender Sozialstaat, der zugleich extrem unternehmensfreundlich ist: Solche Gegensätze machen das schwedische Modell spannend. Kapitalistische und fast schon kommunistische Züge schließen einander nicht aus. „Diese Widersprüche sind da, sie lassen sich nur schwer erklären“, sagt Zimburg.
Einen Unterschied zu Österreich gibt es noch: Es gibt einen Konsens, dass Schweden an seiner eigenen Währung, der Krone, festhalten will. Die hat in den vergangenen acht Jahren kräftig an Wert zum Euro eingebüßt. 2012, als Zimburg sein Amt in Stockholm antrat, hat ein Euro 8,4 Kronen gekostet, derzeit sind es 10,5 Kronen. „Die Exporteure hat das gefreut. Für die vielen reisefreudigen Schweden ist es ein Problem“, sagt der Außenhandelsprofi.
Versäumnisse
Das Konzept war so buchstäblich andersartig, dass es Aufsehen erregte. Als Staatsepidemiologe Anders Tegnell die Idee der Herdenimmunität präsentierte, sorgte das weltweit für Schlagzeilen: Wenn sich möglichst viele Menschen ohne Symptome ansteckten und Antikörper entwickelten, kämen Neuansteckungen mit dem Virus zum Erliegen. Ab 60 Prozent „Durchseuchung“ sehen Experten diesen Status erreicht. Zwar wurde das nie als öffentliche Politik in Schweden ausgerufen, spekuliert hat die Regierung aber insgeheim schon damit. Vor allem, weil die Strategie auch auf lange Sicht durchhaltbar sein sollte.
Von seinem Ziel dürfte Schweden aber weit entfernt sein. Ende Mai veröffentlichte die Gesundheitsbehörde erste Ergebnisse einer Antikörper-Studie mit 1.200 Blutproben. Demnach hatten 7,3 Prozent der Bewohner Stockholms Antikörper gegen Corona gebildet. In ländlichen Regionen lag der Wert bei 3,7 Prozent. Kleiner Einwand: Abgebildet sind nur Infektionen, die bis Anfang April stattfanden.
Skandalöser Umgang
Die umgelegt auf die Bevölkerungszahl Häufung an Covid-19-Todesfälle sei übrigens nicht der Strategie geschuldet, sagen Experten, sondern zwei Versäumnissen: Den vielen beengt lebenden Zuwanderern, etwa aus Somalia, sei der schwedische Weg nicht erklärt worden. Sie betrafen besonders viele Infektionen. Und skandalös sei der Umgang in den oftmals gewinnorientiert betriebenen Pflege- und Altersheimen gewesen: Hier schleppte schlecht geschultes Personal in Kombination mit mangelnden Sicherheitsvorkehrungen das Virus ein – ein Grund für die Häufung an Todesfällen.
Hermann Sileitsch-Parzer
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