Coronavirus, 9/11 und Fukushima: Der Schwarze Schwan ist zurück
An den Finanzmärkten geht ein Gespenst um: der sogenannte „Schwarze Schwan“. Er steht für ein Ereignis, das die Börsianer völlig unvorbereitet trifft und dem sie machtlos gegenüberstehen. Betroffen vom „Schwarzen Schwan“ sind aber in weiterer Folge nicht nur die Finanzmärkte, sondern die komplette Wirtschaft.
Ist der Ausbruch des Coronavirus’ etwa so ein Phänomen? Aus Sicht des Management-Magazins Forbes auf jeden Fall: „Das Coronavirus ist ein Black Swan Event, der möglicherweise schwerwiegende Konsequenzen für die Börsen, den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft in den USA hat.“
An den Börsen war das Virus jedenfalls auch gestern Angst-Thema Nummer eins. Denn mit dem Virus steigen die Sorgen, dass die derzeit leichte Konjunkturerholung durch eine länger andauernden Epidemie im Keim erstickt werden könnte, sagt Milan Cutkovic, Marktanalyst beim internationalen Brokerhaus AxiTrader.
Für Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), ist die Black-Swan-Theorie für das Coronavirus nachvollziehbar. „Der Ausbruch von Epidemien ist ja nicht überraschend. Dass aber ein Virus plötzlich von einem Tier auf den Menschen überspringt und damit einhergehend eine neue Krankheit ausbricht, das ist nicht vorhersehbar.“
Unerwartet und weitreichend
Historisch gesehen war die „Spanische Grippe “ einer der furchtbarsten Black Swan Events. Der Erreger war neu und tödlich, Gegenmittel blieben wirkungslos. Der Ausbruch von 1918 raffte binnen weniger Monate zwischen 25 und 50 Millionen Menschen dahin, wie Forscher schätzen.
Weitere Beispiele von Black Swan Events: Die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima etwa. Oder die Terroranschläge am 11. September 2001. Auch der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers 2008 zählt dazu. Kocher: „Zwar wussten alle, dass die damalige Immoblase einmal platzen würde, Lehman kam aber dann völlig unerwartet und löste die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg aus.“
Schneeballsystem
In Österreich war der Zusammenbruch der Creditanstalt 1931 ein Black Swan Event, der in der damaligen Wirtschaftskrise das Bankensystem in Europa im Schneeballsystem nahezu zum Einsturz brachte.
Entscheidend bei einem Black Swan Event ist natürlich das Zentrum des Geschehens. Und genau das beunruhigt die Börsen beim Coronavirus. China ist der Wachstumsdynamo der Welt. Heuer wächst die Weltwirtschaft um rund 3,3 Prozent. Exakt ein Drittel davon wird in China generiert, sagt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung. Fazit: Wenn China erkrankt, hustet die ganze Welt.Chinas Wirtschaft sollte laut Prognosen heuer um rund sechs Prozent wachsen. „Nach derzeitigem Stand gehen wir davon aus, dass es nur fünf bis 5,5 Prozent sein werden“, so IHS-Chef Kocher. Helmenstein geht sogar von eher nur noch fünf Prozent Wachstum oder gar weniger aus. Das schlägt auf die Weltwirtschaft durch, die dann laut Kocher und Helmenstein um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte weniger wachsen würde.
So ähnlich wie beim SARS-Virus 2003. „Im Unterschied zu damals kann aber China nicht mit riesigen Investitionen gegensteuern.“ Grund: Die Staatskassen sind leer. Das Land ist schwer verschuldet. Und was wäre das Horrorszenario? „Wenn Chinas Industrie über Wochen und Monate flächendeckend still steht“ so Kocher.
Für Valentin Hofstätter von der Raiffeisen Bank International (RBI) ist die Lage derzeit vergleichbar mit dem Ausbruch des SARS-Virus: „Wir haben jetzt eine ähnliche Fallzahl wie beim SARS im April 2003. Damals stiegen die Neuerkrankungen noch weitere drei bis vier Monate.“ Die Finanzmärkte hatten sich währenddessen aber schon wieder beruhigt.
Keine Garantie
Eine Garantie, dass das auch diesmal der Fall sein wird, gibt es freilich nicht. „Die nächsten ein, zwei Wochen werden entscheidend sein, um die Dimension abzuschätzen“, sagt Hofstätter. Stellt sich heraus, dass die Inkubationszeit eine andere ist und weitere Städte abgeriegelt werden müssen, dann wären die globalen Auswirkungen sehr, sehr düster.
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