Wifo-Experte zeichnet düsteres Bild für Städtetourismus

Erster Bezirk
Lockdown bremst das Wachstum über den Winter. BIP-Einbruch heuer wohl "um einiges negativer als minus 7 Prozent". Tourismus leidet besonders, dort hilft auch Kurzarbeit wenig.

Die gegen die Corona-Pandemie gerichteten jüngsten Lockdown-Maßnahmen der heimischen Politik bremsen die Wachstumschancen über den Winter. Vom vierten Quartal bis ins Frühjahr hinein werde die Wirtschaft dadurch gedämpft. Im Gesamtjahr wird der BIP-Rückgang laut dem Wifo-Konjunkturexperten Josef Baumgartner "wohl um einiges negativer sein als sieben Prozent und kommendes Jahr die Erholung wohl auch schwächer ausfallen als bisher erwartet", sagte Baumgartner im APA-Gespräch.

Das genaue Ausmaß des Dämpfers hänge auch davon ab, wie schnell die Regierung Maßnahmen verkünde, die einer Unsicherheit der Betriebe entgegenwirkt und wie die zusätzlichen Hilfen, etwa die Ausweitung des Fixkostenzuschuss, Härtefallfonds oder eine Verlängerung der Kurzarbeit, tatsächlich bei den Betroffenen ankommen, so der Konjunkturexperte zur neuen Mittelfristprognose des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo).

Wenig profitieren kann durch Kurzarbeit der stark exponierte Tourismus, der als Saisonbranche Arbeitskräfte erst kurzfristig aufnehmen wird, wenn Hoffnung auf Urlaubsgäste besteht, so Baumgartner. In der Gastronomie dagegen könne Kurzarbeit einiges abfangen, fraglich sei ob die Betreiber glauben, dass sie künftig frühere Umsatzniveaus erreichen werden und so viele Mitarbeiter brauchen.

Auch wenn der Lockdown nun kürzer als im "Risikoszenario" des Wifo befürchtet sein dürfte, werde der Tourismussektor bis in den Februar und März hinein zu leiden haben. Schon im "Hauptszenario", das keine weiteren restriktiven Maßnahmen unterstellt, rechne sein Institut für kommenden Winter mit einem Viertel weniger Gästenächtigungen. Bei einer achtwöchigen Sperre, wie es im pessimistischen "Risikoszenario" angenommen ist, wird fast ein Totalausfall (-95 Prozent) von November bis zum Ende der Winterschulferien und ein gradueller Anstieg der Auslastung auf zwei Drittel bis Februar unterstellt, weil auch nach der Rücknahme des Lockdown für ein bis zwei Monate von einer Verunsicherung der Gäste und damit schwächeren Buchungen ausgegangen wird. Die am Samstag von der Regierung vorgestellten Maßnahmen mit einem vierwöchigen Lockdown sind aber weniger restriktiv als im "Risikoszenario" des Wifo unterstellt, wodurch die Hoffnung auf ein Weihnachtsgeschäft noch lebt.

Für die Gesamtwirtschaft geht die "Hauptvariante", die auf der Herbstprognose von Anfang Oktober aufsetzt, für 2020 weiter von knapp 7 Prozent BIP-Einbruch aus und für 2021 von einer deutlichen Erholung mit 4,4 Prozent Anstieg. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung würde diesem Szenario zufolge frühestens 2022 wieder erreicht. Das "Risikoszenario", das deutlich striktere Lockdown-Schritte als die jetzt verhängten unterstellt (unter anderem einen achtwöchigen Lockdown in Tourismus und Gastronomie bis inklusive Weihnachtsferien), sieht das BIP heuer um 9,3 Prozent schrumpfen und 2021 auf diesem niedrigeren Niveau fast stagnieren (+0,4 Prozent). Baumgartner betont aber, dass dieses Szenario auf Basis von Annahmen schon am 22. Oktober fertiggestellt wurde: "Es ist also keine Abschätzung der Auswirkungen der am 30. Oktober von der Regierung vorgestellten Maßnahmen."

Mit den neuen Lockdown-Maßnahmen ist eine Entwicklung zwischen diesen beiden Varianten zu erwarten - ob sie näher an der Obergrenze der Hauptvariante oder an der Untergrenze des "Risikoszenario" liegen wird, hänge hauptsächlich von der Wirkung der Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen ab und damit, ob es ab Anfang Dezember wieder zu einer Lockerung kommen kann, sagt Baumgartner. Die BIP-Entwicklung im Gesamtjahr 2020 werde "um einiges negativer sein als die minus 7 Prozent von unserer Herbstprognose, aber auch nicht die mehr als minus 9 Prozent wie im Risikoszenario erreichen", so der Wifo-Experte.

Im "Risikoszenario" habe man bereits eine Ausweitung von Fixkostenzuschuss und Härtefallfonds sowie eine Kurzarbeitsverlängerung unterstellt. Letztlich würden die jetzt gesetzten restriktiven Maßnahmen das Wachstum im vierten Quartal 2020 und im ersten Vierteljahr 2021 "deutlich schwächen" im Vergleich zur Hauptvariante. Bei der Hauptvariante hätte es bleiben können, wenn die bis Anfang Oktober gesetzten Gesundheitsmaßnahmen ausgereicht hätten.

Düsteres Bild für Städtetourismus

Reicht der nun kommende Teil-Lockdown aus, um das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle zu bringen, gebe es noch eine Chance auf ein Wintergeschäft - das will Baumgartner nicht ausschließen. Dieses in Westösterreich so wichtige Geschäft beginne unter normalen Bedingungen so richtig kurz vor Weihnachten und ist bis in die Neujahrswoche sehr stark. Das Problem sei, dass schwer abzuschätzen sei, ob Maßnahmen für vier Wochen reichen. "Sinken die Infektionszahlen, springt der Wintertourismus danach auch tatsächlich an? Das ist die große Unsicherheit." Im Winter entfallen in Salzburg, Tirol, Vorarlberg auf die deutschen Gäste mehr als die Hälfte der Übernachtungen, gefolgt von den Niederländern und Österreichern. Und zum Städtetourismus, der stark von Konferenzen und Geschäftsreisen "lebt", malt der Experte überhaupt ein düsteres Bild: "Da wird ein Teil dauerhaft verschwinden und durch Online-Konferenzen ersetzt", hier habe man in der Krise Erfahrungen gesammelt, dass das auch gut funktioniere.

Der Arbeitsmarkt wird durch die Coronakrise und den erneuten Lockdown massiv belastet. Schon im Frühjahr stieg die Arbeitslosenzahl (inkl. Personen in Schulung) explosionsartig auf über 571.000 Menschen, um 210.000 Personen mehr als Ende April 2019. Rechnet man die 1,15 Mio. Beschäftigten in Kurzarbeit dazu, die das Arbeitsmarktservice (AMS) Anfang Mai genehmigt hatte, waren gut 40 Prozent der unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisse von der Covid-19-Krise betroffen. Schon die Hauptvariante sieht für 2020/21 Arbeitslosenquoten von 9,8 und 8,8 Prozent und eine Rückkehr auf Vorkrisenniveau erst 2025. Im "Risikoszenario" mit der Annahme eines achtwöchigen Lockdown werden für 2020/21 Arbeitslosenraten von 10,1 und 10,3 Prozent gesehen - und die Quote wäre im gesamten Zeitraum bis 2025 um einen Prozentpunkt höher als in der "Hauptvariante".

Für das Budgetdefizit geht die "Hauptvariante" für 2020 von einer Zunahme auf 9,4 Prozent des BIP aus (nach 0,7 Prozent Überschuss 2019), Grund sind die fiskalischen Maßnahmen zur Abfederung der Rezession und die Steuerausfälle. Für die Staatsverschuldung wird ein Anstieg auf 84 Prozent des BIP erwartet, 13,6 Prozentpunkte höher als 2019.

Im vergleichsweise ungünstigeren "Risikoszenario" wird das Budgetdefizit deutlich stärker in die Höhe getrieben, weil die Rezession tiefer und länger ist als in der "Hauptvariante". Daher werden längere und massivere fiskalpolitische Covid-19-Unterstützungen für 2020 und 2021 unterstellt, zugleich gibt es weniger Steuer- und SV-Beitrags-Einnahmen. Das Budgetdefizit würde so 2020 auf 10,8 Prozent des BIP klettern, auch zum Ende des Prognosezeitraums 2025 gäbe es noch immer 2,4 Prozent Gesamtstaatsdefizit. Der Schuldenstand bliebe bis 2025 bei 93 Prozent des BIP, er wäre damit zu Ende der Prognoseperiode um 13 Prozentpunkte höher als in der Hauptvariante. "In der Hauptvariante geht der Schuldenstand von 84 auf 80 Prozent zurück, im Risikoszenario bleibt er mit 93 Prozent mehr oder weniger konstant", so Baumgartner.

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