Caroline Casey: "Behinderung muss Chefsache sein"
Caroline Casey steht gerne im Lichte der Öffentlichkeit. Die 48-jährige Irin begeistert Menschen und schwingt Reden vor großem Publikum, das sie kaum sehen kann: Seit mehr als 20 Jahren kämpft die schwer sehbehinderte Casey für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt.
Für ihr jüngstes Projekt, die „Wertvollen 500“ tourt sie derzeit durch die Welt, um Chefs großer Konzerne für ihre Sache zu begeistern. 500 Top-Unternehmen will sie als Aushängeschilder gewinnen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen. In Wien hat sie in Gregor Demblin, dem Leiter der Unternehmensberatung MyAbility, einen Mitstreiter gefunden. Der KURIER hat mit beiden über ihre Vision für Menschen mit Handycap am Arbeitsmarkt gesprochen.
KURIER: Frau Casey, wie sind Ihre persönliche Erfahrungen in der Arbeitswelt?
Caroline Casey: Ich habe eine sehr außergewöhnliche Geschichte. Ich wusste bis zum 17. Lebensjahr nicht, dass ich sehbehindert bin.
Meine Eltern sagten mir das erst, als ich Fahrstunden nehmen wollte. Dann erfuhr ich, wie Behinderte behandelt werden. Ich wollte die Behinderung niemandem zeigen. Ich habe als Beraterin bei Accenture gearbeitet. Die Chefs wussten nichts von meiner Behinderung. Als ich 28 war, habe ich das erst gesagt. Und da hat mein Kampf für Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz begonnen. Die Welt ist nicht für Sehbehinderte gemacht.
Gregor Demblin: Ich war 18, als ich den Unfall hatte. Dann musste ich feststellen, wie viele Hürden es gibt. Man sieht sie nicht, wenn man nicht im Rollstuhl sitzt.
Caroline Casey: Das Frustrierende ist eben, dass die Lösung von vielen nicht gesehen wird. Wir müssten nicht dafür kämpfen, würden die Führungskräfte diese Hürden sehen. Aber 90 Prozent der Kinder mit Behinderung erhalten keine gute Ausbildung, 50 Prozent der Menschen mit Behinderung finden keine Arbeit. Der Großteil von ihnen lebt in Armut. Ich bin überzeugt, dass Arbeit und Wirtschaft die Schlüsselrolle für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung darstellen.
Aber in der Wirtschaft spielen doch Effizienz und Kosten die Hauptrolle ...
Caroline Casey: Es geht auch um Geschäftschancen, Wachstum und Gewinne. Genau da spielen Menschen mit Behinderung einen wichtige Rolle. Manager müssen verstehen, dass die Einbeziehung von 1,3 Milliarden Menschen mit Behinderung weltweit eine große wirtschaftliche Chance bietet. Das sind Talente, Konsumenten. Das sind Chancen für Markenartikel, ein Markt von mehr als acht Billionen Dollar.
Gregor Demblin: Die Chefs müssen verstehen, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderung sich bezahlt macht. Das sind Kunden, wertvolle Mitarbeiter. Das macht auch Unternehmen wertvoll. Mitarbeiter sehen, es geht nicht nur um Umsatzsteigerung und Gewinn. Es gibt auch soziale Werte.
Wie nehmen die Unternehmen Ihre Argumente auf?
Caroline Casey: Egal, was wir über die Jahre gekämpft haben, wir führen immer wieder dieselben Gespräche. Immer musste ich meine Sache rechtfertigen. 2010 hatte ich ein Video-Interview. Und Sheryl Sandberg, die Chefin von Facebook, machte zur selben Zeit ein Video-Interview über Geschlechter-Gleichstellung im Job. Da kam mir die Idee, 500 Konzernchefs als Unterstützer zu gewinnen.
Was erwarten Sie von ihnen?
Caroline Casey: Wir brauchen diese Führungskräfte, die unsere Idee mittragen. Behinderung steht immer noch ganz hinten auf der Agenda von Managern. Behinderung muss Chefsache sein.
Was steht vorne?
Caroline Casey: Es gibt einen Wettbewerb mit Frauen-Gleichstellung und Diversität. Behinderung ist kein Thema, das in den Köpfen der Chefs vorkommt.
Gregor Demblin: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es leicht ist, mit Chefs über Frauen-Gleichstellung zu reden. Über Behinderung wollen sie nicht reden. Das ist zu negativ besetzt.
Aber in Österreich gibt es Vorschriften zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ...
Caroline Casey: Die gibt es in vielen Ländern. Aber die Unternehmen kaufen sich lieber frei. Die Hälfte der Firmen in den OECD-Ländern zahlen lieber die Ausgleichstaxe. Sie versuchen nicht einmal, einen Menschen mit Behinderung anzustellen.
Gregor Demblin: In Österreich ist es sogar noch schlimmer. Hier kaufen sich 80 Prozent der Unternehmen frei.
Caroline Casey: Die Gründe, warum sie sich nicht um Menschen mit Behinderung kümmern sind, erstens, dass Führungskräfte nicht sagen: Das Thema ist uns wichtig. Deswegen meine Kampagne der ,Wertvollen 500’. Grund Nummer zwei ist, die Menschen verstehen nicht, dass es um viel Geld geht: um den globalen acht Billionen-Dollar-Markt – Innovation und Wachstum. Das Dritte ist, die Menschen gegeneinander auszuspielen: auf der einen Seite das Frauen-Thema, auf der anderen Rassen-Diversität und dann auch noch Behinderte.
Wie wollen Sie das ändern?
Caroline Casey: Das Thema Behinderung muss in den Köpfen der Manager den gleichen Wert wie Gleichstellung der Frau bekommen. Das ist viel Arbeit. Denn laut einer Umfrage von EY haben 56 Prozent der Chefetagen der größten Konzerne der Welt nie über Behinderung gesprochen. Das zweite Ergebnis, das mich erschreckt hat: 90 Prozent der Chefs sagten, sie würden sich sehr um Inklusion bemühen. Aber nur vier Prozent meinten damit auch Menschen mit Behinderung. Da sage ich: Inklusion in dieser Art ist eine Illusion. Die Manager lassen 15 Prozent der Menschen einfach aus.
Wie viele Konzerne konnten Sie bisher überzeugen?
Caroline Casey: Ich habe die Idee der ,Wertvollen 500’ dieses Jahr in Davos beim World Economic Forum zu verbreiten begonnen. Wir stehen jetzt bei 205 großen Unternehmen.
Und in Österreich?
Caroline Casey: Die Bank Austria hat die Patronanz für diese Kampagne in Österreich übernommen.
Gregor Demblin: Wir haben auch die Privatklinikbetreiber PremiQamed, den Verbund, den ÖAMTC und die Porr gewonnen. Das ist der Start in Österreich. Dazu haben wir noch etwa 40 Unternehmen, die sehr interessiert sind.
Ihr Wunsch für die Zukunft?
Caroline Casey: Ich hoffe, mein Job ist in einigen Jahren erledigt.
Die Aktivistin
Die 48-Jährige Irin, Caroline Casey, studierte Wirtschaft und arbeitete als Unternehmensberaterin bei Accenture. Casey, die an einer Sehschwäche leidet, kämpft für Gleichstellung von Menschen mit Handycap in der Arbeitswelt. In ihrer aktuellen Kampagne „Wertvolle 500“ sucht sie Unterstützer ihres Engagements bei Top-Managern.
Der MyAbility-Gründer
Gregor Demblin (42) sitzt seit einem Unfall 1995 im Rollstuhl. Er studierte Philosophie und war 2014 Co-Gründer der Unternehmensberatung MyAbility, die er seither leitet. Er und die MyAbility-Mitarbeiter beraten Unternehmen und Organisationen (etwa die EU-Kommission) zu Behinderung und Arbeit.
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