Molkerei-Chef prangert an: "Bio wird quer durch das Land gekarrt"
Seit weltweit weniger Flugzeuge in der Luft sind, sind Joghurtbecher deutlich teurer. Das ist nur eine der vielen Auswirkungen von Corona.
KURIER: Der Weltmarktpreis für Milch steigt wieder. Warum eigentlich?
Alfred Berger: Unter anderem weil China wieder mehr am Weltmarkt einkauft. Das liegt vor allem daran, dass nach Corona dort auch ein massiver Aufschwung ist und die eigene Produktion dies nicht decken kann. Dazu kommt, dass in der Pandemie einfach mehr Milch und Milchprodukte konsumiert wurden. Es gab mehr Nachfrage nach Joghurt und Käse, aber auch nach Butter, weil ja viel mehr zu Hause gekocht wurde.
Klingt nach vollen Kassen, trotzdem fordern die Molkereien gerade lautstark Preiserhöhungen von sechs bis sieben Prozent über das ganze Molkerei-Sortiment hinweg. Als alljährliches Prozedere vor den Jahresverhandlungen mit den Einkäufern der Supermärkte und Diskonter?
Nein, auf der Preisseite ist heuer gar nichts normal. Allein die Preise für Himbeeren und Brombeeren haben sich verdoppelt und verdreifacht. Schuld sind schlechte Ernten in den großen Anbauländern. Die Früchte sind quasi an den Stauden verbrannt. Auch Pfirsiche sind um 75 Prozent teurer als vor einem Jahr.
Da die NÖM aber nicht gerade als Produzent von Himbeer- oder Pfirsich-Marmelade bekannt ist, wird das nicht der größte Kostenblock im Unternehmen sein, oder?
Uns kostet das mehr als eine halbe Million Euro. Deswegen müssen wir reagieren und zum ersten Mal überhaupt unterschiedliche Preise für unterschiedliche Joghurtsorten einführen. Jene mit den genannten Früchten müssen teurer werden.
Wie viele Joghurtbecher füllt die NÖM im Jahr ab?
Rund 250 Millionen Stück und die Becher kosten aktuell doppelt so viel wie vor einem Jahr, weil der Rohstoff sich exakt verdoppelt hat. Er ist ein Nebenprodukt der Kerosinerzeugung. Da weniger geflogen wird, braucht man weniger Kerosin und stellt damit zu wenig Polymere her. Der Rohstoff muss jetzt in einem eigenen, teureren Verfahren produziert werden und ist europaweit Mangelware. Sprich – teuer. So wie Paletten. Sie haben vor einem Jahr sieben Euro pro Stück gekostet, jetzt mehr als 20.
Weil die Holzpreise durch die Decke gegangen sind, das hat man vor allem am Bau gespürt. Sie erholen sich aber schon wieder.
Schon, aber die Palettenpreise gehen sicher nicht auf das alte Niveau zurück und wir bewegen circa 700.000 Stück im Jahr, auch bei dieser so unauffälligen Position geht es um Riesenbeträge. Alles in allem steigen unsere Kosten gerade um 20 Millionen Euro im Jahr. Und apropos Bau: Wir haben gerade einen Kostenvoranschlag für den Bau einer neuen Lagerhalle bekommen. Wissen Sie, wie lange er gültig war?
Sie werden es sicher gleich verraten ...
Genau zwei Tage. Länger will die Baufirma die Kosten nicht mehr garantieren, weil die Rohstoffpreise verrückt spielen. Wir spüren das auch bei unseren Flaschen aus recycelten PET. Weil die Nachfrage nach diesem Rohstoff so groß ist, kostet recyceltes Plastik mittlerweile doppelt so viel wie der Originärrohstoff. Es ist eine völlig verrückte Entwicklung und das Neue an der Situation ist, dass alle Lieferanten mit sofortigem Lieferstopp drohen, wenn die Preise nicht angepasst werden. Und wir dürfen in so einer Situation dann die Lieferfähigkeit aufrecht erhalten … Das wird nicht einfach.
Corona hat unter anderem auch dazu geführt, dass der Bio- Markt geboomt hat, speziell bei Milchprodukten. Warum spielt NÖM auf diesem Markt nicht mit?
Weil der Markt in der Handelslandschaft verteilt ist – und mit langfristigen Lieferverträgen mit Molkereien abgesichert. Das führt dazu, dass Bio-Milch aus den hohen Bergen im Westen Österreichs in Wien verkauft wird. Sprich, dass Bio quer durch das Land gekarrt wird. Was die Transportkilometer angeht, ist jede konventionelle Milch ökologisch nachhaltiger als Bio.
Klingt etwas beleidigt, weil NÖM nicht an die großen Bio-Marken liefert. Aber haben Sie überhaupt Bio-Bauern unter Vertrag?
Natürlich, so wie bei den meisten anderen Molkereien liegt unser Anteil bei zehn bis 15 Prozent.
Und was passiert mit der angelieferten Milch?
Wir verkaufen sie an Vorlieferanten für Baby-Nahrung und an Bio-Käsereien, die zu wenig Rohstoff haben.
NÖM macht 45 Prozent vom Umsatz im Ausland, vor allem in Italien. Haben die Italiener keine eigene Milch?
Italien hat ein jährliches Milchdefizit von 1,3 Milliarden Kilogramm. Ihre eigene Milchproduktion reicht nicht für die Menge, die sie zur Parmesan-Herstellung – ein weltweiter Exportschlager der Italiener – benötigen. Es gab Zeiten, zu denen italienischer Mozzarella mit Milch aus Niederösterreich produziert wurde. Mittlerweile liefern Österreich und auch die NÖM aber immer mehr verarbeitete Produkte nach Italien – womit mehr Wertschöpfung im eigenen Land bleibt.
Wie ist das Geschäft in Italien in Pandemie-Zeiten gelaufen?
In Italien waren die Lockdowns ja viel strenger als bei uns, man durfte seinen Heimatort oft gar nicht verlassen. Eingekauft wurde dann im kleinen Geschäft im Ort, nicht mehr im Hypermarkt am Stadtrand, zu dem man nicht mehr fahren durfte. Davon haben wir und unsere Abnehmer profitiert. NÖM ist mittlerweile in Italien die Nummer zwei hinter Parmalat am Milchmarkt. Wir liefern bis Sizilien, wo sie im Durchschnitt 43 NÖM-Artikel in einem Supermarkt finden. In Italien sind wir schon drei Mal so groß wie Danone. Das war ein großer Schritt und ein Riesen-Investment, das glücklicherweise aufgegangen ist und die Eigentümer mit viel Engagement und unternehmerischen Spürsinn mitgetragen haben.
Lieferanten
Rund 2.500 Milchbauern aus Niederösterreich, dem Burgenland und der östlichen Steiermark beliefern die Molkerei (Sitz in Baden) mit insgesamt rund 420 Millionen Kilogramm Rohmilch
400 Millionen Euro
Umsatz im Jahr macht die NÖM mit knapp 900 Mitarbeitern. Das Unternehmen exportiert in
23 Länder, die wichtigsten Auslandsmärkte sind Italien und Deutschland. Die Exportquote liegt bei 45 Prozent
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