Wenn es 2024 keine Metaller-Lohnrunde geben wird, verliert die Branche dann ihre Vorbildwirkung?
Nein, erstens hätte der jetzige „kreative Abschluss“ naturgemäß Vorbildwirkung für andere Branchen wie den Handel und auch im kommenden Jahr haben die Metaller dann quasi eine „automatisierte Vorbildwirkung“, sagt der Experte. Vereinbart wurde ja für das zweite Jahr schon jetzt eine Abgeltung der rollierenden Inflation plus einen Prozentpunkt oben drauf. Wenn nichts „völlig Unvorhergesehenes“ passiere, komme man 2024 ohne (Nach-)Verhandlungen oder gar Streiks aus. Hierin liegt eine vielleicht sogar höhere Vorbildwirkung als in der Vergangenheit. Bittschi spricht von einer „Benchmark“ für andere Branchen.
Ist der Zwei-Jahresabschluss nicht riskant angesichts der vielen Unwägbarkeiten in der Welt?
Das ist tatsächlich ein kritischer Punkt. Prognosen treffen selten punktgenau ein. Für die Arbeitgeberseite bedeute der Abschluss daher eine Art „Spekulation“ darauf, dass die Inflation 2024 tatsächlich wie erwartet sinkt – im Jahresdurchschnitt von fast acht auf vier Prozent. Für die Arbeitnehmer sei der Abschluss hingegen eine „Versicherung“, die Teuerung, in egal welcher Höhe im kommenden Jahr, wirklich abgegolten zu bekommen.
Hat es so einen Deal schon einmal gegeben?
Ja, im Tourismus wurde 2021 ein zweijähriger Abschluss erzielt, der eine Evaluierungsklausel für Mai 2022 enthalten hat, um die tatsächliche Inflationsentwicklung berücksichtigen zu können. Das könnte auch bei den Metallern so kommen, die über die Details – vor allem die Härtefallklausel – ja noch reden. Daher gilt der Abschluss derzeit auch nur unter Vorbehalt.
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Was bedeutet diese Härtefallklausel konkret?
Besonders belastete Betriebe, die personalintensiv sind und im internationalen Wettbewerb stehen, dürfen einen Teil der Lohnerhöhung anders umsetzen. Angedacht, aber eben im Detail noch nicht fixiert, sind hierfür Einmalzahlungen, die Abgeltung in mehr Freizeit oder durch Aus- und Weiterbildungsangebote. Die Sozialpartner nennen diese Klausel „Wettbewerbsicherungsklausel“.
Eine echte „Öffnungsklausel“, wie es sie in Deutschland schon mehrfach gegeben hat, ist das nicht. Eine Öffnungsklausel würde bedeuten, dass sich einzelne Betriebe überhaupt von der KV-Erhöhung verabschieden könnten.
➤Mehr dazu: Metall ist auch biegsam: Flexibler KV ist Gebot der Stunde
Was heißt der Metaller-Abschluss für den Handel, der heute am ersten Einkaufssamstag bestreikt wird?
Der Abschluss enthalte laut Bittschi „genug Bausteine“, die auch für den Handel interessant sein könnten. Etwa den Umstand, dass die Gewerkschaft unter Nutzung der beschriebenen Begleitmaßnahmen einen Abschluss von 8,6 Prozent und damit unter der rollierenden Inflation von 9,6 Prozent im Durchschnitt über alle Einkommen zugelassen habe.
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Ist der Abschluss volkswirtschaftlich vertretbar?
Ja, er liege voll auf der Linie der jüngsten WIFO-Prognose und stärke 2024 Kaufkraft und Konsum, sagt der Experte. Die Arbeitgeber meinen aber, dass die Regierung nun mehr für die Inflationsbekämpfung tun und auch die Lohnnebenkosten senken müsse. Sonst sei so ein Abschluss auf Dauer nicht zu finanzieren.
Was sagt die Regierung zum Ergebnis?
Wirtschaftsmister Martin Kocher zeigt sich erfreut: „Das System der Lohnfindung in Österreich funktioniert.“ Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen hätten die Sozialpartner demonstriert, zu Lösungen fähig zu sein.
Und hat die alte Benya-Formel jetzt ausgedient?
Nein, meint Experte Bittschi. Die traditionelle Formel für die Lohnfindung (Inflation plus einen Teil des Produktivitätsgewinns) gebe noch immer den Verhandlungsrahmen vor.
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