Beißkorb für Wachhunde sitzt sehr locker
Für die einen sind sie viel zu mächtig. Die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch, die den Markt dominieren, würden Krisen in Unternehmen und Staaten mit ihrer undurchsichtigen Notenvergabe verstärken, manchmal sogar auslösen, sagen die Kritiker. Manche sehen in den Agenturen sogar den verlängerten Arm von Großinvestoren, die kräftig mitverdienen, wenn Bonitätsnoten verändert werden. Wie etwa beim Verlust der Höchstnote für Großbritannien am Freitag: Moody’s stufte die Briten von AAA auf AA1 herunter.
Andere wiederum werfen den Bonitätswächtern vor, oft zu spät zu reagieren (siehe Zusatzbericht) und realen Entwicklungen hinterherzuhinken – was der Branche den (Schimpf-)Spitznamen „Rate-Agenturen“ eintrug.
Vor Kurzem fand in Wien eine (von der AK Wien organisierte) sehr kontroversiell geführte Diskussion zum Thema Ratingagenturen statt. Ergebnis: Für die „Wachhunde der Finanzwelt“, wie sie oft bezeichnet werden, müssen Beißkorb und Leine angeschafft werden. Das wirft allerdings eine Reihe von Problemen auf.
Nach zähem Ringen einigte man sich auf EU-Ebene auf neue Regeln. „Zu langsam, zu spät, zu wenig“, sagt EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SP). „Aber die Richtung stimmt.“
Ein Blick auf die Regeln:
Haftungen Für die Konsequenzen ihrer Benotungen mussten die Agenturen bisher keine Haftungen übernehmen. Das soll sich nun zumindest dann ändern, wenn der Ratingagentur ein klarer Regelverstoß nachzuweisen ist. „Haftungen, die man einklagen kann, klingen toll“, sagt Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht. Aber: „Das US-Gesundheitssystem ist so teuer, weil es so hohe Haftungen gibt. Man muss schauen, dass Haftungen nicht ein Riesengeschäft für die Versicherer werden.“
Raus aus Verträgen Bis 2020 sollen alle herkömmlichen Ratings aus den Regulatorien verschwinden. Aus der Beamtensprache übersetzt heißt das: Großanleger wie etwa Pensionskassen müssen sich für ihre Veranlagungsvorschriften Alternativen suchen. „Bis diese da sind, wird es dauern“, meint Ettl. Schätzen die heimischen Pensionskassen die Risiken ihrer Veranlagung selber ein, würden ihre Kosten steigen.
Sprechverbot Die Ratingagenturen müssen künftig lange vorher die Termine festlegen, an denen sie Länderratings bekannt geben. Damit soll verhindert werden, dass neue Noten immer just zwei Tage vor wichtigen europäischen Treffen verlautbart werden – was als Einfluss auf die Politik interpretiert wurde.
Neue europäische Agenturen sollen die Macht der US-Größen brechen. „Eine neue Ratingagentur wäre aber schärfer, um sich abzusetzen“, sagt Bank-Austria-Chefvolkswirt Stefan Bruckbauer. „Das kann nach hinten losgehen.“
US-Hypothekarkredite, zu Paketen verpackt, lockten riesige Geldmengen von internationalen Investoren an. Konnte man sich als Anleger doch auf die gute Benotung durch die Ratingagenturen verlassen. Als der US-Immomarkt einbrach – was schließlich in einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise mündete – war klar: Die Agentur-Noten waren viel zu gut gewesen. Warnungen, dass Anleger ihr Geld nicht oder nur teilweise zurückbekommen, kamen gar nicht oder zu spät.
Die dubiose Rolle, die die Ratingagenturen bei der Bewertung der US-Hypothekenpapiere spielten, ist aber bei Weitem nicht der erste Sündenfall dieser Agenturen. Ein Beispiel ist die Pleite des US-Energieriesen Enron Ende 2001. Nur durch Bilanzfälschung konnte sich Enron über Wasser halten, bis das Lügengebäude dann doch zusammenbrach. Von den Agenturen gab es für Enron fast bis zuletzt gute Noten. Erst vier Tage vor der Pleite wurde vor einer deutlich gestiegenen Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls gewarnt.
Ähnlich tief geschlummert scheinen die Agenturen im Fall Parmalat zu haben. Der italienische Nahrungsmittelriese, der Ende 2003 eine Megapleite hinlegte, bekam fast bis zuletzt gute bis recht gute Noten. Auch bei Parmalat waren die Bilanzen gefälscht, um ein riesiges Finanzloch zu kaschieren.
Dass die Ratingagenturen die Krise in Südostasien 1997/’98 nicht kommen sahen, wurde ihnen ebenfalls vorgeworfen.
Kommentare