Erst die Bauern, dann die Bahn: Wie Proteste und Streiks Deutschland zusetzen

Bauernproteste - Hamburg
Traktorkolonnen deutscher Landwirte sorgten am Montag für Verzögerungen. Ab Mittwoch will die Lokführergewerkschaft den Bahnverkehr bestreiken.

Ob in Mecklenburg-Vorpommern im Norden, in Sachsen im Osten, in Nordrhein-Westfalen im Westen oder in Bayern im Süden. Am Montag gab es in Deutschland auf vielen Straßen kein Weiterkommen. Deutsche Landwirte protestierten mit Traktorkolonnen und Blockaden an Autobahnauffahrten gegen geplante Subventionskürzungen. In Berlin sammelten sich am Brandenburger Tor fast 600 Traktoren. In mehreren Städten, darunter Mainz, Stralsund und Kiel kam es zu Sternfahrten, an denen jeweils Hunderte Traktoren beteiligt waren. 

Auch Bus- und Landwagenfahrer schlossen sich den Protesten der Bauern an. Sie protestierten gegen die Erhöhung der Lkw-Maut. Die Protestaktionen sollen bis kommenden Montag fortgeführt werden. Dann ist eine Großdemonstration in Berlin geplant, bei der Tausende Teilnehmer erwartet werden.

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Erst die Bauern, dann die Bahn: Wie Proteste und Streiks Deutschland zusetzen

Bahnstreiks ab Mittwoch angekündigt

Ab Mittwoch könnte sich die Lage zusätzlich verschärfen. Denn dann will die deutsche Lokführergewerkschaft GDL mit ihren seit Längerem angekündigten Bahnstreiks ernst machen. Bis Freitagabend sollen deutschlandweit Züge bestreikt werden. 

Die Deutsche Bahn will den Streik mittels einstweiliger Verfügung stoppen. Eine gerichtliche Entscheidung darüber wird voraussichtlich am Dienstag fallen. Bei den letzten bundesweiten Bahnstreiks im Oktober fielen 80 Prozent des Fernreiseverkehrs aus. Auch viele Regionalzüge standen still. Die GDL hatte Ende November Tarifverhandlungen abgebrochen, nachdem ihre Forderung nach Arbeitszeitverkürzung abgewiesen wurde.

Streiken die deutschen Lokführer ab Mittwoch tatsächlich, dürften auch Verbindungen zwischen Deutschland und Österreich betroffen sein, die ÖBB raten Reisenden, nicht notwendige Bahnfahrten zu verschieben. Die Züge der Westbahn fahren planmäßig.

Genaue Informationen zum Streik und den betroffenen Verbindungen von und nach Österreich werden laufend online aktualisieret, wie die ÖBB am Montag mitteilten. „Fahrgäste werden gebeten, nicht notwendige Bahnfahrten von und nach Deutschland zu verschieben“, hieß es weiter. Die Zugbindung von ÖBB-Sparschiene- und Standard-Tickets von und nach Deutschland werde aufgehoben, Nachtzug-Tickets können auch tagsüber genutzt werden. Tickets, die bis 8. Jänner gekauft wurden, sind länger, nämlich bis 19. Jänner, gültig.

Westbahn fährt planmäßig bis München

Die Westbahn fährt unterdessen planmäßig von und nach Rosenheim und München, wie das Unternehmen am Montag bekanntgab. Außerdem werde mit den ÖBB an einer Lösung gearbeitet, um betroffene Fahrgäste zwischen Salzburg und München in Westbahn-Zügen mitzunehmen, hieß es in einer Aussendung.

Folgen für die Wirtschaft 

Die Streiks und Proteste dürften nicht ohne Folgen für die deutsche Wirtschaft bleiben. Das Zusammenspiel zwischen Straße und Schiene sei vor allem dann ein Problem, wenn parallel blockiert würde, sagte der Ökonom Harald Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Angesichts der bestehenden Logistikprobleme seien die Aktionen für das Image des Standorts nicht hilfreich. „Ein Riesenproblem hätten wir, wenn das Verhalten der Bauern Schule macht.“ 

Erste Folgen waren bereits zu bemerken. Im ostfriesischen VW-Werk in Emden kam die Produktion zum Erliegen, weil die Zufahrtsstraßen von den Traktoren protestierender Bauern blockiert wurden. 

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Sparpläne reduziert

Die deutsche Bundesregierung hat zuletzt einen Teil der Sparpläne für die Landwirte zurückgenommen. Dem Deutschen Bauernverband reicht das nicht. Besonders sauer stoßen den Landwirten die Streichungen der Steuervergünstigungen für Agrardiesel auf. Die sollen jetzt schrittweise bis 2027 erfolgen. Im Schnitt kommen im nächsten Jahr 1.000 Euro Mehrkosten auf die Betriebe zu.  Pläne für die Abschaffung von Vergünstigungen bei der Kfz-Steuer wurden ganz fallengelassen.

Dabei ging es den deutschen Landwirten zuletzt prächtig. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr stieg der durchschnittliche Gewinn pro Betrieb um 45 Prozent auf die Rekordsumme von 115.400 Euro. Die Preise für Getreide und Milch gingen zuletzt aber zurück.  Auch Auflagen für die Produktion und Fragen zur Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung bereiten den Bauern Sorgen. 

FILE PHOTO: 2024 budget presentation in Berlin

Robert Habeck wurde am vergangenen Donnerstag von protestierenden Bauern in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert

Aktuell steht Deutschland in so manchem Vergleich besser da als Österreich: 

Inflation 

Die Inflation ist beispielsweise im Dezember in beiden Ländern wieder angestiegen. Und während sie danach  hierzulande 5,6 Prozent betrug, waren es in Deutschland nur 3,7 Prozent. Beide Staaten lagen damit über dem EU-Schnitt von 2,9 Prozent. 

Arbeitlosigkeit

Ende 2023 waren in Österreich außerdem fast 400.000 Menschen auf Jobsuche. Nach Eurostat beträgt die Arbeitslosenquote 5,1 Prozent (Stand: Oktober 2023). In Deutschland sind es hingegen nur 3,1 Prozent. Immerhin liegen damit beide Staaten unter dem EU-Schnitt von 6 Prozent.

Prognose

Österreichs Wirtschaftsleistung soll laut dem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) 2023 um 0,8 Prozent gesunken sein. Für Deutschland rechneten Ökonomen zuletzt mit einem Minus zwischen 0,1  und 0,3 Prozent. Die Prognose für das laufende Jahr fällt verhalten aus:  Beide Länder sollen 2024 ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent erreichen. 2025 soll das BIP in Österreich um 2 Prozent wachsen. Für Deutschland fällt die Vorhersage für 2025 mit 1,3 Prozent (Ifo) etwas vorsichtiger aus.

„Strukturelle Probleme“

Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verwies am Montag auf strukturelle Probleme der Branche. Um ihre Kosten zu decken, müssten Landwirte immer mehr produzieren. Das führe dazu, dass die Tierbestände pro Hof immer größer werden. Habeck sprach von einer „Industrialisierung der Landwirtschaft“ und rief zu einer breiten Debatte darüber auf. 

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Warnung vor Instrumentalisierung durch Extremisten

Er warnte auch vor der Kaperung der Proteste durch extreme Gruppen. Diese Gefahr sieht auch der Extremismusforscher Matthias Quent. Nationalistische, rechtsextremistische und verschwörungsideologische Gruppen würden versuchen, die Bewegung politisch zu instrumentalisieren. Ihnen gehe es nicht um Agrardiesel, sagt Quent, sie „wollen Deutschland lahmlegen.“ 

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