Aufregung um neue Unfallregel im Schienenverkehr
Die Aufregung bei Österreichs Schienenbahnunternehmen ist groß: Wenn ein Mitarbeiter im direkten Zusammenhang mit seiner Tätigkeit unmittelbar Zeuge eines Unfalls wird, bei der eine Person verletzt oder getötet wird, so ist er nach dem Unfall 72 Stunden freizustellen. Dieser Passus soll auf Initiative der Gewerkschaft in die Eisenbahngesetzesnovelle, an der derzeit gearbeitet wird, einfließen.
"Massive Verschlechterung"
„Das ist mehrfacher Holler“, sagt Thomas Scheiber, Obmann des Fachverbands Schienenbahnen in der Wirtschaftskammer Österreich.
Hier sei legistisch nicht sauber definiert, welche Vorfälle dazuzählen würden. Seiner Lesart nach würde das bedeuten, dass jeder Straßenbahn- oder Zugführer sofort heimgehen müsste, wenn er zum Beispiel einen Zusammenstoß zweier Pkw sehen würde, auch wenn er am Unfall nicht beteiligt wäre.
Der Mitarbeiter könnte dann nicht einmal vom Unternehmen betreut werden und dürfte auch nicht Hilfe leisten oder sein Fahrzeug aus dem Gefahrenbereich bringen. Die Regelung wäre eine massive Verschlechterung für Unternehmen und Mitarbeiter. Die derzeitige Regelung ist laut Scheiber besser: „Es gibt ein Kriseninterventionsteam, das jeden Mitarbeiter auffängt und ihn arbeitsmedizinisch und arbeitspsychologisch betreut.“ Ein Mitarbeiter sei viel schwieriger zurückzuholen, wenn man damit erst 72 Stunden nach dem Unfall beginne.
Den Schienenbahnunternehmen könnten dadurch jährlich bis zu zehn Millionen Euro an Mehrkosten entstehen, rechnet Scheiber vor. Denn derzeit werde ein Mitarbeiter im Falle eines Unfalls krankgeschrieben, die Kosten würde die Krankenkasse zahlen. In Zukunft müssten das die Unternehmen berappen. Ähnliche Regelungen für Lkw- oder Busfahrer gebe es nicht. Manche Unternehmen hätten aber Mitarbeiter, die Zug- und Busfahren könnten. Weiters sei nicht klar, wie das auf grenzüberschreitende Anbieter anzuwenden wäre.
Kalmierung
Die Gewerkschaft beruhigt: Es gehe nur um den direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit, ein Auffahrunfall oder Zusammenstoß anderer Fahrzeuge zähle nicht dazu. Es gehe zum Beispiel um Vorfälle bei Eisenbahnkreuzungen oder um Verschubunfälle. „Dann, wenn eine Person nicht mehr mit den Gedanken bei der Arbeit ist, sondern mit der Bewältigung des Vorfalls abgelenkt ist“, sagt Günter Blumthaler, Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn bei der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida.
Ein Triebwagenführer solle etwa nach einem Unfall bei einem Bahnübergang, bei dem eine Person verletzt wurde, nicht weiterfahren müssen, weil Fahrgäste, Betriebsführungszentrale oder nachkommende Züge Druck auf ihn ausüben würden.
Nicht flächendeckend
„Eine akute Belastungssituation hält bis zu drei Tage an“, erklärt Blumthaler. Das sei wissenschaftlich fundiert, die Forderung sei nicht frei erfunden. „Mitarbeiter in Gefährdungsbereichen sollen einfach keine Aufmerksamkeitsdefizite haben“, so Blumthaler. Im Text sei alles genau beschrieben.
Eine psychologische Betreuung der Unfallbeteiligten unmittelbar nach dem Ereignis sei erforderlich, während und auch nach der 72 Stunden. Die aktuelle Situation ist laut Blumthaler nicht ideal, da nicht alle Regelungen für die Betreuung der Mitarbeiter verpflichtend sind und nicht flächendeckend eingesetzt werden.
Das Verkehrsministerium will den Schutz im Schienenverkehr verbessern und begrüßt den Vorstoß der Gewerkschaft.
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