Facebook: Lügen aus der Blase

Facebook: Lügen aus der Blase
Nach dem Fall Biró: Facebook funktioniert wie ein Schulhof: Man glaubt nur den eigenen Freunden. Auch wenn sie falschen Unsinn weitererzählen.

Jeder blickt auf seine eigene Welt. Der Maurer hat Angst, einen kaputten Rücken zu haben, der Anwalt Sorge, der Porsche bekäme einen Kratzer. Der Maurer spricht mit einem Maurerkollegen und erfährt, dass fremde Maurer viel billiger arbeiten. Und statt mit Zement mit Mehl arbeiten. "Wahnsinn", denkt er.

Der Anwalt trifft einen anderen Anwalt, der ihm erzählt, dass chinesische Banden Porsche-Reifen stehlen. Und containerweise nach Afghanistan verschiffen. Wahnsinn, denkt sich der Anwalt. Ich brauche eine bewachte Garage.

Beide teilen ihre Sorgen auf Facebook. Und erreichen damit andere Maurer. Andere Anwälte. Die Maurer fürchten sich vor den Mehlbanditen. Die Anwälte haben Sorge um ihre Reifen.

Weder werden Mehlwände gebaut. Noch braucht man in Afghanistan Reifen für deutsche Sportwagen.

Facebook nimmt uns die Vernunft ab. Wozu das führen kann, zeigte ein Vorfall in der Steiermark, wo sich jüngst ein Chefredakteur mit solchen Weitererzählungen verdribbelte: Der "Steirer"-Krone-Chef Christoph Biró hatte wüste Facebook-Gerüchte über marodierende Flüchtlinge für bare Münze genommen. Und sie zum Anlass für einen wütenden Leitartikel genommen. Nachdem das ganze Land sich über seine Ergüsse empörte, musste er erkennen: Facebook-Freunde lügen mitunter. Und Journalismus muss mehr bieten als bloßes Nacherzählen von Behauptungen. Nach einigen hektischen Telefonaten zwischen dem in New York weilenden Krone-Chef Christoph Dichand und der Wiener Redaktion war klar: Dieser Text war untragbar. Biró zog sich von seiner Chefredakteursrolle zurück. Und die Krone distanzierte sich vom Text. Ein beispielloser Vorgang.

Facebook ist der digitale Schulhof: Der beste Freund hat von der engen Freundin gehört, dass der Tommie auf Buben steht. Gerücht? Tatsache? Eine feine Linie, die nicht nur unter Kindern beliebig verschoben wird. Und jedes Mal, wenn Tommie, der inzwischen mit seiner Frau vier Kinder hat, bei Klassentreffen auf die Schulkollegen trifft, denken sie: Das ist doch der, der . . . Hat sich ein Gerücht erst einmal verbreitet, hilft auch der Faktencheck nichts mehr. Wir glauben, was uns glaubwürdig erscheint.

Und wer will schon wirklich wissen, dass er in Wahrheit echten Blödsinn denkt?

Filter, Filter

Facebook ersetzt nach und nach den Stammtisch, an dem Reden geschwungen, Theorien geschmiedet und Stimmungslagen zementiert werden. Der Unterschied ist nur der: Wer gehört wird und wer nicht, bestimmt im Einzelfall Facebook selbst. Die Plattform ist darauf programmiert, jedem Nutzer Dinge zu präsentieren, die ihn interessieren könnten – im Computer-Soziologen-Jargon nennt sich dieses Phänomen "Filterbubble". Ist man Veganer, befindet man sich schnell in einer fleischlosen Blase, in der Andersesser bald als fremd wahrgenommen werden. Hat man Angst vor Syrern, wählt die FPÖ oder sympathisiert gar mit der Pegida, wird man bald nur mehr mit den Facebookeinträgen aus diesem Spektrum konfrontiert sein. Wie bei den Veganern werden Menschen mit anderer Meinung schnell fremd. Mischt sich Fremdartigkeit mit Angst, wird daraus schnell Feindseligkeit. Und die Spirale im digitalen Freundeskreis dreht sich emotional weiter.

Die Ironie: Facebook gehört zu den geheimnisvollsten Konzernen der Welt. Man muss kein besonders gewitzter Beobachter sein, um zu erkennen, dass die Nutzung eines Riesennetzwerkes mit Transparenzproblemen nicht dazu angetan ist, angebliche Weltverschwörungen aufzudecken. Dennoch: Die Blasen blubbern fröhlich vor sich hin und geben Lügen, Halbwahrheiten und Missverständnisse wieder.

Aber wer will schon wirklich wissen, dass er an echten Blödsinn glaubt?

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