Am Bildschirm führt kein Weg vorbei

Am Bildschirm führt kein Weg vorbei
Der langjährige profil-Herausgeber Peter Michael Lingens über das Ende für "Financial Times Deutschland" und die Zeitungskrise.

Deutsche Verlage bestellen gerne angesehene Wissenschaftler zu Herausgebern ihrer Zeitungen. Als sich die Deutsche Holtzbrinck-Gruppe vor zwanzig Jahren für die Wochenpresse engagierte, die ich in ihrem Auftrag zu einer österreichischen Wirtschaftswoche umgestalten sollte, bescherte mir das den Innsbrucker Professor für Volkswirtschaftslehre, Clemens August Andreae, zum Mitherausgeber. Bei unserem ersten Zusammentreffen auf der Fahrt ins KURIER-Haus verschaffte mir das folgende Kurz-Vorlesung: „Als Ökonom finde ich es eigentlich erstaunlich, dass Großverlage unverändert so viel in Print-Produkte investieren.

Am Bildschirm führt kein Weg vorbei
Papier ist ein teurer Rohstoff, dessen Herstellung mit extremen Umweltbelastungen gekoppelt ist. Es zu bedrucken und dann wegzuwerfen ist ein sehr aufwendiger, nicht sehr ökonomischer Vorgang. Denn Information lässt sich sehr viel schneller und kostengünstiger elektronisch an den Endverbraucher übermitteln. Ich gebe aber zu, dass Zeitungmachen sehr faszinierend ist und Zeitunglesen sehr genussvoll sein kann.“

Andreae ist leider bei einem Flugzeugabsturz umgekommen, aber ich hatte sein Bild in den letzten Monaten immer wieder vor mir, wenn ich vom Sterben traditionsreichster Print-Produkte erfahren habe.

Die Papiererzeugung ist zwar nicht mehr ganz so umweltschädlich, und die Wochenpresse ist nicht am Internet gescheitert, sondern war wahrscheinlich, was Helmut Brandstätter ein ganz gewöhnliches „falsches Investment“ nennt. Aber ich fürchte, dass Andreaes Analyse dennoch den Nagel auf den Kopf trifft. Meine Familie betrieb vor zweihundert Jahren Deutschlands größte Dampfkesselwerke, erweiterte sie ständig, weil Dampfmaschinen damals das Herz der Industrialisierung waren –, aber sie musste nach 1900 innerhalb eines einzigen Jahrzehnts Halle für Halle zusperren, weil Elektro- und Dieselmotoren die Dampfmaschine abgelöst hatten.
Ein viel längeres Leben räume ich auch den meisten Print-Produkten nicht ein.

Schrift

Das Lesen auf Bildschirmen ist zwar noch immer etwas anstrengender, weil ihr Flimmern noch nicht völlig beseitigt ist –, aber das wird demnächst gelöst sein. Und schon jetzt haben Bildschirme für ältere Leute wie mich den Vorteil, dass sich die Schrift beliebig vergrößern lässt. Ich habe in den rund zehn Jahren, die ich von Spanien aus journalistisch tätig war, Österreichs Politik ausschließlich auf dem Bildschirm verfolgt, und es ist mir nicht wirklich viel abgegangen.
Ich gebe Brandstätter zwar recht, dass man Futurologen primär misstrauen soll –, aber nicht selten sind Totgesagte tatsächlich bald gestorben.

Aktualität

Tageszeitungen sind meines Erachtens leider am stärksten vom Aussterben bedroht. Denn ihr Atout gegenüber Wochen und Monatsmagazinen ist die Aktualität –, aber eben darin ist das Internet unschlagbar. Ich folge Brandstätter, wenn er argumentiert, dass auch Tageszeitungen in Zukunft vor allem kommentieren, analysieren und einordnen werden –, aber erstens geht auch das auf dem Bildschirm, und zweitens bringt es sie in Konkurrenz zu Wochenmagazinen, die dafür mehr Zeit zur Verfügung haben.

Zwar ist es richtig, dass man Zeitungen auch schon totgesagt hat, als sie mit dem Fernsehschirm konkurrieren mussten, aber Fernsehen war ein prinzipiell anderes Medium – das Internet hingegen kann (neben vielem anderen) eine Zeitungsseite auf dem Bildschirm ausbreiten. Gleichzeitig kann der Leser sie auf dem iPad in der Straßenbahn fast so leicht wie die Krone lesen und braucht zu Hause nichts in den Mistkübel zu werfen.
Das werden auch die genuinen Wegwerfzeitungen zu spüren bekommen.

„Magazine“ werden nur etwas länger auf Papier verweilen, weil sie auch ein gewisses haptisches Vergnügen bieten und es doch reizvoll sein kann, sie in der Wohnung aufzubewahren. Letztlich aber werden auch sie vorrangig via Bildschirm konsumiert werden, sofern es nicht außergewöhnliches Prestige vermittelt, sie unter den Arm zu klemmen.

Dass das Papier nicht ganz verschwindet, wird es bis auf Weiteres der Werbung verdanken: Auf kleinen Bildschirmen wirken Inserate – vor allem wenn sie plötzlich vor den Text springen – als unerwünschte Irritation, und seriöse Medienberater müssten sie ihren Auftraggebern als kontraproduktiv ausreden. Aber auf meinem großen Apple-Bildschirm wartet das Inserat ruhig und appetitlich neben dem Text.

Damit bin ich beim entscheidenden Problem: der künftigen Finanzierung von Redaktionen. Mit Brandstätter bin ich überzeugt, dass es sie immer geben wird und geben muss, weil „gerade das Internet mit seinen Zillionen Seiten Zusammenfassung, Einordnung, Analyse und Kommentierung braucht“.
Aber solche großen, qualifizierten Redaktionen werden unverändert viel Geld kosten – und zwar im kleinen Österreich mit seiner kleinen Werbewirtschaft nicht weniger als im großen Deutschland mit dem zehnfachen Werbevolumen.

Kostenpflicht

Vielleicht wird es daher in Österreich früher als in Deutschland gelingen, dass sich die Verleger darauf einigen, ihre Internet-Ausgaben kostenpflichtig anzubieten. Wahrscheinlich primär in Verbindung mit dem Printprodukt; in Zukunft vielleicht verschlüsselt und nur mittels persönlichen Codes zu öffnen.
Hier wird der technische Fortschritt sicher noch neue Möglichkeiten eröffnen.

Gleichzeitig aber wird es – schon gar in Konkurrenz mit Wegwerf-Zeitungen wie Heute und Österreich – zu Fusionen kommen müssen, weil Qualitätsredaktionen sonst unfinanzierbar sein werden. So wollte Holtzbrinck sich seinerzeit in Presse und Standard einkaufen und sie zu einer österreichischen Süddeutsche Zeitung oder FAZ fusionieren, ist aber bei beiden Eigentümern abgeblitzt. Vielleicht gelingt eine „österreichische Lösung“ leichter. Denn die „Qualitätszeitung“ hat insofern die theoretisch größte Überlebenschance, als sie die Anforderung der intellektuellen Aufbereitung besser als Wegwerfzeitungen erfüllen kann. Der Bildschirm wird trotzdem ihr wichtigeres Erscheinungsbild werden müssen.

Unterstützung

Mit Brandstätter meine ich, dass die Regierung aufgerufen ist, die Qualitätsredaktionen in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen: Eine Bevölkerung, die gezwungen ist, in Wagenladungen von Informationsmüll nach Brauchbarem zu kramen, kann keine vernünftigen politischen Entscheidungen treffen, und ohne die kann Demokratie nicht funktionieren.

Ich war immer ein Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weil er nach wie vor bessere Information bietet, als RTL oder ATV, und es ist keineswegs abwegig, wenn der Staat auch Qualitätsredaktionen von Zeitungen fördert. Dass das nicht zwingend mit politischer Abhängigkeit gekoppelt sein muss, beweist soeben der viel geschmähte ORF: Die ZIB ist unparteilich wie in ihrer besten Zeit, und die „Staatskünstler“ sind ungleich kritischer (und sehr viel besser) als der einstige „Guglhupf“.

Es muss so etwas wie ein Recht des Bürgers auf seriöse Information geben, und wie auch in anderen Bereichen soll und kann man es nicht ausschließlich dem „Markt“ überlassen, es zu gewährleisten.

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