Astra Zeneca: Eine Chronologie der Pannen
Eigentlich hätte die Geschichte auch ganz anders verlaufen können. Ein Impfstoff, entwickelt von der renommierten Universität Oxford. Noch dazu vektorbasiert, also auf einer erprobten Technologie – im Gegensatz zu den neuen mRNA-Impfstoffen von Biontech oder Moderna. Und dann noch zum Selbstkostenpreis. Für die Dauer der Pandemie will Astra Zeneca den Impfstoff ohne Gewinn vertreiben. Doch was folgte, war ein PR-Desaster nach dem anderen.
Die Komplikationen starteten bereits im Herbst vergangenen Jahres. Nachdem eine Studienteilnehmerin erkrankt war, musste die klinische Prüfung unterbrochen werden. Dann konnten nicht genügend Daten zu älteren Probanden vorgelegt werden, weshalb der Impfstoff zunächst nur an Jüngere verimpft wurde.
Im Clinch
Bevor der Impfstoff in der EU zugelassen wurde, kam es zum Streit mit Brüssel, weil zugesicherte Mengen nicht geliefert werden konnten. Die Lieferschwierigkeiten dauern bis heute an. Im März sorgte eine weitere Meldung für Verärgerung. Astra Zeneca hätte 29 Millionen Impfdosen „versteckt“, um diese heimlich nach Großbritannien zu exportieren. Der Pharmakonzern widersprach vehement: Die Dosen seien dort nur bis zur Auslieferung gelagert gewesen. Doch der Image-Schaden war bereits angerichtet.
Vor allem aber sind es die wiederkehrenden Meldungen über auftretende Thrombosen, die viele verunsichern. Der Impfstoff liegt vielerorts ungenutzt im Kühlschrank, allein in der Steiermark gab es zuletzt Tausende Abmeldungen von Impfterminen mit Astra Zeneca. Zahlreiche Länder setzten die Impfungen kurzzeitig aus. Dänemark stellte sie nun ganz ein. Dennoch, oder gerade deswegen, ließ sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am Freitag mit Astra Zeneca impfen.
Derweil gab die EU bekannt, künftig vermehrt auf Impfstoffe mit mRNA-Technologie zu setzen, wie etwa von Biontech/Pfizer. Da kommt es nur gelegen, dass das Unternehmen 50 Millionen Dosen früher an die EU liefern will. Österreich bekommt davon 1 Million.
Zwar treten Thrombosen sehr selten auf – die europäische Arzneimittelagentur EMA sprach zuletzt von 62 Hirnvenenthrombosen und 24 weiterer Thrombosen im Bauchraum, allerdings bei 25 Millionen Impfungen. Restlos bewiesen ist der Zusammenhang nicht. Und auch bei Impfungen mit anderen Vakzinen traten Blutgerinnsel auf. Doch es liegt wohl an der Summe der Negativmeldungen, die Astra Zeneca in den Köpfen vieler zum Impfstoff zweiter Klasse absteigen ließ.
„Der Astra Zeneca Impfstoff ist wie ein Brennglas der aktuellen Stimmungslage in der Bevölkerung. Das Gefühl der Unsicherheit wiegt mehr als die medizinische Faktenlage“, erklärt Britta Blumencron, Kommunikationsexpertin im Gesundheitsbereich.
Bislang gehörten Impfstoffe nicht zum Kerngeschäft von Astra Zeneca. Der Konzern, der 1999 durch die Fusion der britischen Pharmafirma Zeneca und des schwedischen Pharmaunternehmens Astra entstand, ist auf Medikamente in den Bereichen Diabetes, Onkologie und Atemwegserkrankungen spezialisiert. Bestseller sind laut Geschäftsbericht 2020 zwei Krebsmedikamente sowie ein Asthmamittel. Der Umsatz betrug 22,2 Milliarden Euro.
Im Ranking der größten Pharmafirmen der Welt der Beratungsfirma EY landete Astra Zeneca 2019 auf Platz 11. Die Plätze 1 bis 3 sichern sich Roche, Pfizer und Johnson & Johnson. Insgesamt beschäftigt der Konzern 64.400 Mitarbeiter in 100 Ländern, 140 davon in Österreich.
Die Reise ins Reich der Corona-Vakzine begann eher zufällig. Nachdem die Uni Oxford ihr Vakzin entwickelte, soll sie zuerst Gespräche mit dem Konzern GlaxoSmithKline geführt haben. Doch dieser winkte ab. Da die Forscher auf einen britischen Partner wert legten, wurde es schließlich Astra Zeneca.
Das Schweigen
Dieser schien von Anfang an überfordert mit der Krisenkommunikation. Nur zu oft hüllte man sich in Schweigen. Etwa, als es um die Wirksamkeit des Impfstoffes ging. Als Biontech und Moderna Wirksamkeiten von über 90 Prozent bekannt gaben, kam Astra Zeneca in Bedrängnis. Schließlich gab man 70 Prozent an. Wie die Zahl zustande kam, konnte niemand nachvollziehen. Denn bei Verabreichung von zwei vollen Dosen waren es 62 Prozent, bei einer halben Dosis gefolgt von einer vollen 90 Prozent.
Das negative Image nun wieder loszuwerden, könnte schwierig werden. „Dazu braucht es, neben der medizinischen Sicherheit und Liefersicherheit, eine glaubwürdige Kommunikation von Ärzten und Wissenschaftern, sowie den Faktor Zeit“, sagt Kommunikationsexpertin Blumencron.
Astra Zeneca versucht es derweil mit einem neuen Namen. Ende März wurde der Impfstoff in Vaxzevria umbenannt. Ein Blick nach Großbritannien würde wohl mehr helfen: Dort wird Astra Zeneca gefeiert, immerhin konnte man damit eine erfolgreiche Impfstrategie sichern. Mittlerweile haben alle über 50-Jährigen ein Impfangebot bekommen. Vor einigen Tagen gelang ein großer Schritt zurück in die Normalität: Geschäfte, Restaurants und Pubs konnten wieder öffnen.
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