Arbeitsminister Martin Kocher: Gemischte Bilanz nach zwei Jahren
Von seiner Marathon-Bestzeit in Berlin 2016 (3:01:20) bis zum Antritt als Staffel-Schlussläufer über lediglich elf Kilometer beim jüngsten Wien-Marathon ging es bei Martin Kocher karrieretechnisch steil bergauf, aber läuferisch bergab.
Im September 2016 war der Verhaltensökonom frisch gekürter IHS-Chef. Heute sitzt der parteilose Wissenschafter als Arbeits- und Wirtschaftsminister für die ÖVP in der Bundesregierung. „Mehr war einfach nicht drin. Es bleibt zu wenig Zeit“, sagt der 49-Jährige zur Laufleistung.
In den zeitraubenden und kräftezehrenden Regierungsämtern läuft Kocher dem großen politischen Wurf – einer Art Bestzeit im übertragenen Sinn – auch noch hinterher.
Die seinerzeit groß angekündigte und lange verhandelte Reform der Arbeitslosenversicherung scheiterte im vergangenen Herbst endgültig – nicht zuletzt am Widerstand des grünen Koalitionspartners. „Darüber war ich nicht glücklich“, sagt der gebürtige Salzburger.
Kleinere Schritte wie die Modernisierung der Rot-Weiß-Rot-Karte für den leichteren Zuzug von Fachkräften aus Drittstaaten oder der Ausbau von Lehrberufen (z. B. in der Pflege) gelangen.
Gemischte Bilanz
Eine Zwischenbilanz nach mehr als zwei Jahren seiner Ministerzeit – aus Anlass des Tags der Arbeit – fällt daher zwangsläufig gemischt aus.
Er selbst gibt sich selbstbewusst: „In den letzten zwei Jahren in dem Bereich, wo ich verantwortlich bin, ist so viel passiert wie nie zuvor. Wir haben von einer Rekord-Kurzarbeit zu einer Rekord-Beschäftigung gedreht. Ja, die Konjunktur hat mir in die Hände gespielt, aber wir haben sie auch stärker genutzt als andere Länder.“
Kritiker meinen, Kocher mache es sich zu leicht, es fehle ihm der Zug zum Tor, er kündige zwar viel an, setze aber wenig um. Er sei dabei aber nicht nur ein „Gefangener der Koalition“, in der inhaltlich gar nichts mehr gelinge, wie viele Kommentatoren meinen. Er sei eben auch ein „Gefangener des Apparates in dem er arbeitet“, sagt Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Und führt aus: „Da sind die knallroten Sektionschefs im Arbeitsministerium und lauter Kämmerer im Wirtschaftsministerium, die alles abdrehen, was der Wirtschaftskammer nicht passt.“
Halb voll oder halb leer?
So ist zwar die Arbeitslosigkeit tatsächlich nach Corona und mitten in der Konjunkturflaute und Inflationskrise gering, liegt aber im internationalen Vergleich nur noch im EU-Mittelfeld und eben nicht mehr an der europäischen Spitze wie in früheren Jahren. Zudem sei nirgendwo sonst in Europa der Arbeits- und Fachkräftemangel derart groß – eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft überhaupt, kritisiert Loacker.
Das unterstreicht auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, doppelt und dreifach. Er hält Kocher zugute, dass er überaus sachkundig, sehr angenehm im Umgang und ein „guter Minister“ trotz seiner fehlenden Hausmacht in der ÖVP sei. Bei vielen Vorhaben jedoch, wie zum Beispiel beim Abbau der Hürden von der Teilzeit zur Vollzeit oder bei der Fachkräfte-Strategie gehe koalitionsbedingt leider wenig weiter. „Da hängt viel in der Ankündigung.“
Angesichts von mehr als 200.000 offenen Stellen in Österreich muss es für Arbeitslose heute leichter sein, einen Job zu finden. Das reduziert den politischen Reformdruck. Gleichzeitig hat die hohe Inflation den Druck auf Menschen im untersten Einkommensbereich massiv erhöht, weil Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nicht indexiert wurden – sehr zum Ärger von AK und ÖGB.
Einseitiger Blick
Silvia Hofbauer, Leiterin der AK-Arbeitsmarktpolitik, wirft Kocher generell einen „einseitigen Blick“ für die Bedürfnisse der Betriebe vor. „Sein Zugang ist, die Menschen müssen sich anpassen und flexibler werden. An die Unternehmen denkt er seltener.“ Zudem binde Kocher die Sozialpartner viel zu wenig ein, diese hätten eine enorme Expertise anzubieten, würden aber kaum gefragt.
Arbeitslosenrate
Im März 2023 waren 333.954 Menschen beim AMS als arbeitslos vorgemerkt (zum 25. Mal ein Rückgang). Das bedeutete eine Arbeitslosenrate von 6,2 Prozent. Im ersten Corona-Jahr lag die Arbeitslosenrate im März 2020 noch bei 12,3 %.
6,4 Prozent in 2023
Gut sind auch die Aussichten. Die Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts und des Instituts für Höhere Studien erwarten für das Gesamtjahr eine stabile Entwicklung am Arbeitsmarkt. Das Wifo geht von einem Mini-Anstieg der Arbeitslosenrate auf 6,4 Prozent aus. Im Durchschnitt des Jahres 2022 betrug die Rate 6,3 Prozent.
Gefragt sind jetzt die Wirtschaftsforscher, wie es weitergehe mit Konjunktur, Arbeitslosigkeit und den Staatsfinanzen. Schließlich wurden Milliarden für Kurzarbeit, die Corona-Joboffensive und zur Inflationsbekämpfung ausgegeben. Gar nicht so schlecht, lautet deren Urteil. Spätestens 2024, wenn im Bund neu gewählt wird, sollte auch der Wachstumsmotor wieder anspringen. Das dürfte den lähmenden Arbeitskräftemangel freilich eher noch verschärfen.
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