Wann ist irgendwann?
Kocher: Es gibt laufend Gespräche mit den Sozialpartnern, weil wir jedenfalls eine Verlängerung der Kurzarbeit bis nach dem 31. März in einer Form brauchen, da es immer noch Bereiche gibt, die behördlich geschlossen sind wie Hotels. In etwa zwei Wochen wollen wir das Modell für das zweite Quartal vorstellen. Es kann durchaus sein, dass wir Ende Juli die Kurzarbeit nur mehr für ganz spezifische Bereiche brauchen.
Wer braucht im Sommer noch Kurzarbeit?
Kocher: Die Stadthotellerie und die Reisebüro-, Flug- und Veranstaltungsbranche werden sicher auch weiterhin Schwierigkeiten haben, weil sie vom Ausland abhängig sind.
Die Regierung hat eine Arbeitsstiftung gegründet. Was kann diese mehr oder im Gegensatz zum AMS leisten?
Wöginger: Die Corona-Arbeitsstiftung ist mit 700 Millionen Euro dotiert und dient der Qualifizierung von Arbeitslosen. Allein heuer werden 430 Millionen Euro in die Aus- und Weiterbildung fließen. Bisher konnten jährlich rund 10.000 Menschen im Pflege- und Gesundheitsbereich ausgebildet werden. Wir gehen von einem zusätzlichen Effekt durch die Corona-Arbeitsstiftung aus.
Bis 2030 benötigen wir in Österreich über 70.000 Pflegekräfte. Dass jetzt 10.000 in Schulungen sind, das ist schön, aber …
Wöginger: Naja, 10 mal 10 ist 100.
Kocher: Man darf die Zahl nicht unterschätzen. Wir haben für die Job-Offensive Mittel für 100.000 neue Qualifizierungen, von denen ein Teil in die Pflege fließen wird.
Der Pflegeberuf ist ein anspruchsvoller, für viele ein nicht adäquat bezahlter. Muss es mehr Anreize seitens der Arbeitgeber, des Staates geben, um den Beruf attraktiver zu machen?
Kocher: Es gibt Förderungen, um für Arbeitslose den Einkommensverlust auszugleichen, wie beispielsweise den Bildungsbonus über 180 Euro pro Monat.
Wöginger: Wir wissen: Je regionaler das Ausbildungsangebot, desto besser wird es angenommen. Es stimmt ja nicht, dass niemand in einen Sozial- oder Pflegeberuf wechseln will. Es gibt viele Frauen, die sich nach 20 Jahren beispielsweise von der Verkäuferin zur Pflegerin umschulen lassen wollen, weil es sich um einen krisensicheren Beruf handelt.
Gegenfrage: Welche Berufe werden wir nicht mehr brauchen?
Kocher: Da hat die Corona-Pandemie gar nicht so viel verändert. Sie hat, wenn, dann den Strukturwandel beschleunigt. Zukunftsträchtig sind die Bereiche Pflege, Digitalisierung, Klima und Umwelt. Zudem brauchen wir Flexibilität auf regionaler Ebene, weil die Qualifizierungsmaßnahmen in Tirol vielleicht andere sein müssen als im Burgenland. Ich mache mir weniger Sorgen um den Tourismus, als vielmehr darum, wie wir Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen und ältere Arbeitnehmer wieder in den Arbeitsmarkt integrieren.
Apropos Flexibilität: Wie weit sind die Gespräche gediehen, die Zumutbarkeitsregeln zu verändern? Dass also der viel zitierte Koch, der in Wien arbeitslos ist, aber in Tirol gesucht wird, den Wohnort wechselt.
Wöginger: Wir müssen die Jobs zu den Arbeitslosen bringen. Was meine ich damit? Es gab in der Vergangenheit bereits erfolgreiche Jobbörsen. Das heißt, dass Unternehmer in Kooperation mit AMS und Wirtschaftskammer direkt in Kontakt mit Arbeitssuchenden treten. Es geht um Soft-Facts, also darum, wie ein Arbeitsplatz und möglicher Wohnortwechsel gestaltet sein können. Das ist aber nichts, was der Gesetzgeber verordnen kann.
Kocher: Jetzt, in der Pandemie, ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Zumutbarkeitsregeln oder Entgelthöhen zu sprechen. Jetzt muss der Fokus auf der Eindämmung der Arbeitslosen- und Kurzarbeitszahlen liegen. Erst dann kann und muss man über Reformen sprechen, und das ohne Scheuklappen.
Das heißt, die Nettoersatzrate von 55 Prozent des Letztgehalts bleibt vorerst und wird nicht – wie von SPÖ und Gewerkschaft gefordert – auf zumindest 70 Prozent erhöht?
Kocher: Der Fokus liegt derzeit auf Qualifikationen, um später bessere Chancen zu haben. Eine Veränderung des Arbeitslosengeldes verändert das gesamte System und funktioniert nur im Rahmen einer kompletten Reform.
Der liberale Thinktank Agenda Austria schlägt für das neue Kurzarbeitsmodell andere Berechnungen vor: nämlich die Nettoersatzrate zu staffeln, die Mindestarbeitszeit stufenweise zu erhöhen, damit es mehr Anreize gibt, voll zu arbeiten.
Kocher: Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, sich verschiedene Parameter anzuschauen. Entscheidend ist beim Kurzarbeitsentgelt: Wie viel bekomme ich für wie viel Arbeit? Wie viele Stunden muss ich mindestens arbeiten, wie viel bekommt das Unternehmen? Solange es großflächige Schließungen in vielen Bereichen gibt, muss das jetzige Modell beibehalten werden, sonst mündet die Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit.
Kritiker sagen, dass die Beibehaltung des Kurzarbeitsmodells früher oder später jedenfalls in die Arbeitslosigkeit führen wird.
Wöginger: Das Modell wird so ausgestaltet sein, dass die Kurzarbeit in Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit mündet. Wenn sich das Wachstum langsam wieder einstellt, werden wir mit viel Augenmaß diese neuen Parameter schaffen.
Kocher: Wir haben laufend Gespräche mit Unternehmen, welche Anforderungen noch gegeben sind, welche Kriterien wir verändern müssen. Ich bin optimistisch, denn Ende des Sommers 2020 – als die Kurzarbeit ausgelaufen ist – ist die Arbeitslosigkeit nicht gestiegen. Kurzarbeit ist also keine versteckte Arbeitslosigkeit. Es geht um das vernünftige, konjunkturgerechte Auslaufen der Corona-Kurzarbeit.
Noch mehr Menschen arbeiten seit bald einem Jahr in den eigenen vier Wänden. In Deutschland beträgt die Homeoffice-Pauschale 600 Euro pro Jahr, in Österreich 300 Euro …
Wöginger: Wenn wir es zusammenzählen, dann haben wir auch 600 Euro: 300 Euro, die man als Werbungskosten geltend machen kann, 300 Euro, die der Unternehmer an Betriebsmitteln mitgeben kann.
Sollte die Infektionszahl exponentiell steigen: Könnte die Homeoffice-Vereinbarung zeitlich befristet zu einer Verpflichtung werden?
Wöginger: Ich bin und bleibe ein Freund von Freiwilligkeit und Vereinbarungen, zumal wir die rechtlichen Rahmenbedingungen umfassend gestaltet haben.
Viele wollen nicht mehr Homeoffice arbeiten, auch weil ihnen die Kommunikation mit Kollegen und ihr Arbeitsplatz fehlt.
Kocher: Genau deshalb haben wir auch eine Vereinbarung und keine Verpflichtung. Wir wissen, dass das Homeoffice besonders in Lockdown-Zeiten psychisch belastend ist. Es wird eine Reihe von Angeboten geben, Richtlinien, worauf es beim Arbeiten zuhause ankommt – auch nach der Pandemie. Zudem werden wir Broschüren und Schulungen für Unternehmen ausarbeiten, um der psychosozialen Gesundheit Rechnung zu tragen.
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