Pro und Contra: Was bringt das degressive Arbeitslosengeld?
Der Vorstoß von Vizekanzler Werner Kogler im KURIER für die rasche Einführung eines degressiven Arbeitslosengeldes sorgt für heftige Kritik bei Gewerkschaft und SPÖ.
Die Idee, die Höhe der Unterstützungsleistung mit Dauer der Arbeitslosigkeit abzusenken, fand sich schon im türkis-blauen Regierungsprogramm, kam aber nicht mehr zur Umsetzung.
Die Grünen wollen einer schrittweisen Absenkung nur zustimmen, wenn am Beginn die Nettoersatzrate von 55 Prozent des Letzt-Gehalts auf den OECD-Schnitt von rund 65 Prozent angehoben wird. Die Gewerkschaft pocht hingegen auf eine generelle Anhebung auf 70 Prozent und Verlängerung der Bezugsdauer.
Der KURIER fasst die wichtigsten Argumente für und gegen die Degression zusammen:
+ Versicherungsbonus
Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungs- und keine Sozialleistung wie die Mindestsicherung. Wer länger in Beschäftigung ist, zahlt also mehr in das System ein und sollte dadurch auch eine höhere Leistung in Anspruch nehmen können. Mehr Geld zu Beginn nutzt Kurzzeitarbeitslosen und hält so den Arbeitsmarkt flexibel und dynamisch. Vor der Corona-Krise war etwa die Hälfte aller beim AMS Vorgemerkten weniger als drei Monate arbeitslos, allerdings 16 Prozent länger als ein Jahr.
+ Ländervergleich
Im OECD-Ländervergleich (siehe Grafik) zeigt sich, dass Österreich das Arbeitslosengeld zwar etwas niedriger ansetzt, dafür sinkt die Unterstützungsleistung dank der Notstandshilfe auch nach Jahren kaum ab. Zum Vergleich: In Deutschland („Hartz IV“) müssen Langzeitarbeitslose mit 22 Prozent Nettoersatzrate auskommen, in Großbritannien wird binnen fünf Jahren von 34 Prozent auf 17 Prozent halbiert. In Tschechien gibt es bereits nach sechs Monaten nur noch 18 Prozent.
+ Weniger Arbeitslose
Ein kürzerer Bezug des Arbeitslosengeldes kann die Such-Arbeitslosigkeit verringern, zeigen Studien aus anderen Ländern. Der Anreiz, (irgend)einen Job anzunehmen, steigt. Der Thinktank Agenda Austria empfiehlt eine Zusammenlegung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung zu einem neuen „Arbeitssuchengeld“. Dadurch soll das System unbürokratischer und effizienter werden. Die Mindestsicherung soll als finanzielle Untergrenze bestehen bleiben.
- Soziale Spaltung
Von längerer Arbeitslosendauer sind gerade die Schwächsten der Gesellschaft betroffen: Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen. Auch Geringverdiener, darunter vor allem Frauen in Teilzeitjobs sowie Berufsanfänger, zählen zu den Verlierern eines degressiven Arbeitslosengeldes. Durch die Corona-Krise ist die Zahl der offenen Stellen massiv gesunken, was eine rasche Job-Rückkehr für Ältere und Langzeitarbeitslose zusätzlich erschwert.
- Falscher Anreiz
Geld ist zwar ein Anreiz, einen Job anzunehmen. Wer aber jede Arbeit unabhängig von der Qualifikation annehmen muss, ist meist rasch wieder zurück in der Arbeitslosigkeit („Drehtüreffekt“). Bei längerer Arbeitslosigkeit helfen laut Experten vor allem gezielte Betreuungs- und Schulungsmaßnahmen kombiniert mit strengen Sanktionen. Schon jetzt kann das AMS bei Arbeitsunwilligkeit oder Verweigerung von Kursmaßnahmen den Bezug kürzen oder streichen. Auch Zumutbarkeitsbestimmungen wie Wegzeit, Berufs- und Entgeltschutz spielen eine Rolle bei der Vermittlung.
- Keine Ersparnis
Für den Staat bringt ein degressives Arbeitslosengeld kaum eine Ersparnis. Zum einen verursacht die Anhebung der Nettoersatzrate für Kurzzeitarbeitslose hohe Zusatzkosten. Zum anderen fallen durch die raschere Absenkung deutlich mehr Arbeitslose in die Mindestsicherung, was die Sozialausgaben in die Höhe treiben könnte. Eine WIFO-Studie von 2019 hat drei Szenarien einer Degression berechnet. Fazit: Bei Beibehaltung des jetzigen Existenzsicherungs-Niveaus kämen zwei von drei Szenarien sogar teurer als die jetzige Regelung. Für die Wirtschaft bedeutet ein Kaufkraftverlust sinkende Konsumausgaben.
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