Die Angst vor der Armutswanderung
Kommen ab 1. Jänner Tausende Rumänen und Bulgaren nach Österreich, nur um von den großzügigen Sozialleistungen zu leben? Die Arbeitsmarktöffnung für diese beiden Länder hat eine neue Debatte über Sozialschmarotzertum in Gang gesetzt. Die FPÖ befürchtet eine Welle an Neuanträgen für Sozialunterstützung.
„Zuwanderung zum Zweck des Bezugs von Sozialleistungen ist nicht möglich“, sagt daher Johann Baumgartner, Sprecher von Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely.
Wien ist Nummer Eins
Wien hat österreichweit die meisten Bezieher von Mindestsicherung: Insgesamt fast 150.000 dürften es heuer sein. In ganz Österreich sind es rund 240.000. Der Großteil davon arbeitet, verdient aber weniger als die Mindestsicherung, daher bekommt er sein Einkommen auf diese Höhe aufgebessert.
Großbritannien und Deutschland hatten das Thema in den vergangenen Wochen heftig diskutiert: Die deutsche Bundesregierung meldete am Montag, dass keine (von der CSU verlangten) Verschärfungen geplant sind, um die Armutswanderung einzudämmen.
Großbritannien kürzt ab 2014 die Sozialhilfe für EU-Zuwanderer. Sie bekommen in den ersten drei Monaten kein Arbeitslosengeld mehr. Auch Deutschland diskutiert darüber, wie viele Hartz- IV-Leistungen an EU-Ausländer gehen sollen. Mehrere Innenminister, darunter Johanna Mikl-Leitner aus Österreich, haben an die EU-Kommission einen Brief wegen Sozialmissbrauchs bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit verfasst.
Wer das Thema „Armutswanderung“ anspricht, gerät unter Verdacht, ein rechter Hetzer zu sein. In Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden wird seit einigen Wochen emotional, aber immerhin offen diskutiert. Genau betrachtet, haben aber auch hierzulande schon politisch unverdächtige Leute darüber geklagt: Sowohl die Wiener Grünen als auch die Caritas meinen, dass man die Stadt bzw. die Hilfsorganisation mit der „zunehmenden Armutsmigration innerhalb Europas“ nicht allein lassen könne. Die Zahl der Notschlafquartiere in Wien wird ständig erhöht, und immer mehr Bettler sind in den Städten sichtbar.
Wobei der „Sozialtourismus“ nicht so einfach funktioniert, wie es uns die FPÖ glauben macht. Zwar stimmt es, dass ein hier lebender EU-Bürger Anspruch auf die österreichische Mindestpension hat. Aber dass man die weiterhin im Ausland lebende bulgarische Omi in der eigenen Wohnung anmeldet – und flugs kriegt sie nicht nur die Ausgleichszulage, sondern auch die Segnungen des heimischen Gesundheitssystems: Das ist unwahr. Hier wird ziemlich penibel geprüft. Wäre es leichter, würden weit mehr „Ausländer“ einen Differenzbetrag auf die Mindestpension bekommen.
Trotzdem kann man nicht verschweigen, dass Österreich mit seinem großzügigen Sozialsystem ein attraktives Einwanderungsland ist. Wir haben das nur teilweise im Griff. Aber deswegen Zuwanderung prinzipiell zu verteufeln, ist dumm: Etliche Branchen – Gastronomie, Altenpflege, Spitalswesen – wären ohne Ausländer längst zusammengebrochen. Schauen wir also, dass wir genügend Jüngere, Gebildete holen und nicht nur attraktiv für „Sozialtouristen“ erscheinen.
Zum Jahreswechsel fallen die letzten Job-Schranken in der EU: Dann öffnen sich die "westlichen" Arbeitsmärkte auch für Bulgaren und Rumänen. Menschen aus diesen beiden Ländern brauchen dann keine Arbeitserlaubnis mehr, um nach Deutschland oder Österreich zu kommen. Wie viele es aber sein werden, ist fraglich – und Gegenstand emotional geführter Debatten.
Weniger Rechte für Arme
Mit dieser Meinung steht er nicht allein da: Auch die deutsche CSU verlangt einen deutlich härteren Kurs gegenüber Armutsmigranten aus nicht so begüterten EU-Staaten, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Man wolle die Regeln verschärfen, um „falsche Anreize zur Zuwanderung“ zu verringern.
Geldnot als Begründung
Zumindest 100.000 Personen aus den beiden EU-Staaten werden allein in Deutschland erwartet, so die Prognose. Die Angst, dass es sich dabei um Armutsmigranten handeln werde, ist demnach groß. Bislang sind es aber durchwegs qualifizierte Fachkräfte, die einwanderten – wenngleich die Zugewanderten aber häufig Jobs nur in deutlich weniger attraktiven Sektoren wie in der Dienstleistungsbranche fanden.
Begründet wird der Verstoß der Christlichsozialen übrigens mit der Geldnot der Kommunen: Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, verlangte, dass sich Bund, Länder und die Europäische Union an Lösungen und möglichen Kosten beteiligten. David Cameron wird das gefallen: Er hatte die europaweite Kritik daran seinem Vorschlag damit gekontert, dass er mit seiner Meinung ja nicht allein sei. Deutschland, Österreich und die Niederlande würden seine Auffassung teilen.
Ein Grund für die Übergangsfrist bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit war der krasse Lohnunterschied zwischen den alten und neuen EU-Ländern. Daran hat sich für Rumänien und Bulgarien trotz EU-Beitritts wenig geändert. Die beiden Länder weisen im Vergleich zu den anderen neuen EU-Mitgliedsländern das mit Abstands niedrigste Lohnniveau auf. Laut IHS-Studie betrug 2012 der Brutto-Monatslohn in Bulgarien 383 Euro, was elf Prozent des österreichischen Lohnniveaus entspricht. Rumänen verdienten 466 Euro oder 14 Prozent des österreichischen Durchschnittslohns. Wegen der Krise blieb der Lohnabstand in den Jahren 2009 bis 2012 nahezu unverändert.
Kein Wunder, dass es vor allem die Jungen ins Ausland zieht. 2,3 Millionen Rumänen arbeiten seit mehr als einem Jahr fern der Heimat, dazu kommen mehrere Hunderttausend, die – wie etwa Pflegerinnen – für Wochen oder Monate in einem anderen Land ihr Geld verdienen.
Migrationsforscher Herbert Brücker von der Uni Bamberg erwartet in den kommenden zwei bis drei Jahren jeweils eine Nettoauswanderung von 260.000 Personen aus Bulgarien und Rumänien in andere EU-Länder. Das wären immerhin fast ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Davon könnten 40 bis 70 Prozent nach Deutschland kommen, glaubt Brücker. Die deutsche Bundesagentur für Arbeit rechnet 2014 mit 180.000 Arbeitsmigranten aus diesen Ländern.
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