Jeder Arbeitslose ist einer zu viel, keine Frage. Aber insgesamt ist die Entwicklung doch erstaunlich. Die Arbeitslosenquote stieg im Juli zwar auf 6,4 Prozent. Das ist aber immer noch die drittniedrigste Arbeitslosenquote der vergangenen zehn Jahre. Anders gesagt: 2024 ist das bereits zweite Jahr mit zunächst Rezession und jetzt Stagnation, also ohne Wirtschaftswachstum, und dennoch ist eine echte Job-Krise bisher ausgeblieben.
2025 soll die Arbeitslosigkeit in Österreich auch wieder sinken, dann nämlich wenn die Konjunktur nach den jüngsten Prognosen der Wirtschaftsforscher endlich auf 1,5 bis 1,6 Prozent anspringen sollte.
Arbeitsmarktexpertin Julia Bock-Schappelwein vom WIFO oder Helmut Hofer vom IHS sagen unisono, die aktuelle Arbeitsmarktentwicklung – also die steigende Zahl von Menschen auf Jobsuche bei weniger offenen Stellen – sei ganz klar ein Abbild der Konjunktur. Und sie hängen sofort ein „Aber“ an.
Denn: Auch im Gesamtjahr 2024 wird lediglich eine Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent erwartet, was unter dem Niveau vergangener Jahre liegt. Schaut man sich dazu die Juli-Werte seit 2012 an (siehe Grafik), so fällt auf, dass die aktuellen 6,4 Prozent unter dem oft zitierten Vorkrisenniveau von 2019 liegen. In Wahrheit gab es nur zwei echte Ausreißer nach oben: Die Flauten-Jahre 2015/’16 und das Corona-Jahr 2020 mit rund acht bzw. mehr als neun Prozent.
Für Hofer spiegelt die Arbeitsmarktentwicklung den schon länger anhaltenden Fachkräftemangel sowie die demografische Entwicklung in Österreich wider.
Soll heißen: In den nächsten Jahren schrumpft die Erwerbsbevölkerung zwischen 20 und 65 jedes Jahr um rund 20.000 Menschen. Es werde daher für Unternehmen zunehmend schwierig, geeignetes Personal zu finden. Die Betriebe bauen daher ihr Belegschaften nicht so stark ab, wie sie es in der Vergangenheit bei einer ähnlich tristen Wirtschaftslage vermutlich getan hätten.
Das Phänomen wird im Fachsprech als „labour hoarding“ bezeichnet. Unternehmen setzen trotz Auftragsflaute den Rotstift nicht so sehr beim Personal an, auch weil sie sich höhere Such-, Einstellungs- und Einschulungskosten ersparen wollen. Für Bock-Schappelwein ist das u. a. eine Erkenntnis aus der Corona-Zeit. Betriebe halten ihre Mitarbeitenden heute länger als früher üblich war, auch um für die nächste Krise gewappnet zu sein.
Klarerweise sehen nicht alle die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entspannt. Der ÖGB fordert erneut die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent. Die Arbeiterkammer fordert mehr Geld und Personal für das AMS. Die FPÖ ist im Wahlkampfmodus und kritisiert die Regierung angesichts der Juli-Daten scharf. Der blaue Vorwurf gegen Schwarz und Grün lautet: „Unfähigkeit und Willenlosigkeit“.
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